Patient Null
Nationalgarde hatte sich im Stadtzentrum verteilt, während sich Dutzende von Helikoptern mit Agenten, Wissenschaftlern, Ärzten und anderen Spezialisten im Anflug befanden.
Rudy saß am Rand des Podiums. Er hatte sein Jackett ausgezogen, die Ärmel seines Hemds hochgekrempelt und die Krawatte gelockert. Er blickte zu mir hoch und reichte mir eine Hand, aber unsere Hände waren beide voller Blut. Er zog seine wieder zurück und seufzte.
» Dios mio, Cowboy.«
»Das kannst du laut sagen.«
»Bunny hat mir erzählt, dass es Skip gewesen ist. Nicht Ollie. Wir haben falsch gelegen.«
»Nicht nur wir – alle. Selbst Church hatte Ollie unter Verdacht. Schließlich schien er auch der beste Kandidat zu sein. Diese Arschlöcher haben sich wahrscheinlich Skip ausgesucht, weil er so ein Milchgesicht hatte. Außerdem mussten sie von seiner Geldgier gewusst haben. Sie haben uns hinters Licht geführt, und das hat beinahe jeden hier das Leben gekostet.«
Ich setzte mich neben ihn, und eine Weile herrschte Schweigen. Rudy starrte in den Raum. Ich folgte seinem
Blick, bis ich einen Mann in einem Hawaii-Hemd in der Ecke liegen sah, in der Rudy zuvor die Pfadfinderinnen beschützt hatte. Jemand hatte ihm eine zerbrochene Fahnenstange durchs Auge gebohrt.
»Ich hätte nie im Leben geahnt, dass es so sein würde«, durchbrach Rudy schließlich die Stille. »Ich meine, ich habe schon Hunderte von Polizisten auf meiner Couch gehabt, aber …« Er schüttelte den Kopf.
Ich verstand, was er meinte, und konnte den Schmerz in seiner Stimme hören. Aber was konnte ich sagen? Wir mussten alle unsere Aufgaben bewältigen, und ich wusste, dass wir noch lange darüber reden würden – in langen Sommernächten auf der Veranda, die Sterne beobachtend und mit einem Bier in der Hand. Aber jetzt war nicht die richtige Zeit dafür. Am anderen Ende des Raums standen einige Secret-Service-Agenten herum, die wie Geister aussahen. Der Schock saß ihnen tief in den Knochen, und sie versuchten, keinen Blick auf die Reihen der Toten zu werfen.
»Es muss fürchterlich für sie gewesen sein«, meinte Rudy endlich.
»Für dich auch, Alter … Für dich auch.«
Er schüttelte den Kopf. »Ich habe die meiste Zeit nur zugeschaut … Ich bin mir nicht sicher, ob ich das hätte tun können, was sie tun mussten. Mann, sie haben Kongressabgeordnete, Zivilisten …«
»Wirfst du ihnen vor, dass sie diese Leute erschossen haben?«
»Um Himmels willen, nein! Im Gegenteil, sie sind Helden. Jeder Einzelne von ihnen.«
Ich nickte. »Sie halten sich bestimmt nicht für Helden.«
»Nein, vermutlich nicht«, stimmte er zu.
»Sie sind für immer gezeichnet«, sagte ich. »Das hast du wohl auch gemeint. Dieser Gesichtsausdruck, diese Augen. Gewalt und Grausamkeit hinterlassen ihre Spuren. Das hast du mir beigebracht.«
Er seufzte. »Wir fordern so viel von den Menschen, die uns beschützen – von den Feuerwehrleuten, den Polizisten, den Soldaten … Sie verpflichten sich, Gutes zu tun, einen Unterschied zu machen. Aber manchmal glaube ich, dass wir zu viel von ihnen verlangen.«
»Es sind Krieger«, erklärte ich sanft. »Einige von ihnen werden sogar gestärkt aus den heutigen Ereignissen herausgehen. Es gibt Leute, denen eine fürchterliche Schlacht erst die Augen öffnet. Sie belebt ihre Sinne, rüttelt sie auf, macht sie lebendig.«
»Und wieder andere werden daran zerbrechen«, fügte Rudy leise hinzu. »Nicht jeder hat die Seele eines Kriegers. Das hast du mir beigebracht. Manche Leute besitzen nur ein gewisses Kontingent an Mut und können nur so viel Gewalt vertragen – selbst, wenn sie dazu dient, Gutes zu tun. Für manche Menschen stellt so ein Ereignis eine Grenze dar, und sie werden daran zerbrechen. Vielleicht nicht sofort und vielleicht auch noch nicht in den nächsten zwanzig Jahren, aber es wird sie nie wieder verlassen. Ihre Taten werden sie für den Rest ihres Lebens begleiten. Taten, zu denen sie gezwungen waren. Natürlich wissen sie, dass sie es tun mussten, dass es unumgänglich war. Das wird ihnen helfen, damit fertig zu werden, aber nur eine Zeit lang … dann werden sie es nicht mehr vor sich selbst rechtfertigen können.«
Ich wollte ihm widersprechen, aber ich wusste, dass Rudy Recht hatte. Auch wenn man ein Held war, hieß das noch lange nicht, dass es einem nichts mehr ausmachte, gleichzeitig ein Mörder zu sein.
»Sie werden dich brauchen, Rudy.«
»Ich kann ihnen nicht allen helfen.«
»Sie konnten unmöglich jeden hier
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