Patterson James
Nachnamen?«
Ich dachte nach. Da ich keine »offizielle« Identität hatte,
konnte sie mit dieser Information nichts anfangen. Ich rieb
meine Schläfen – seit dem Frühstück hatten Kopfschmerzen
begonnen.
»Ja«, sagte ich schließlich und zuckte mit den Schultern. »Ich
habe ihn mir selbst gegeben.«
An meinem elften Geburtstag (diesen Tag hatte ich mir
ebenfalls selbst herausgesucht) hatte ich Jeb wegen eines
Nachnamens gefragt. Ich nehme an, ich hatte gehofft, er würde
sagen: »Du heißt Batchelder wie ich.« Aber das hatte er nicht
gesagt, sondern nur: »Den kannst du dir selbst aussuchen.«
Deshalb hatte ich darüber nachgedacht. Ich konnte super
fliegen.
»Mein Nachname ist Ride«, sagte ich zu Ellas Mom. »Wie
Sally Ride, die Astronautin. Maximum Ride.«
Sie nickte. »Das ist ein guter Name. Gibt es noch andere wie
dich?«, fragte sie.
Ich presste die Lippen zusammen und blickte beiseite. In
meinem Kopf pochte es. Ich wollte ihr alles erzählen – das war
der schlimme Teil. Etwas in mir wollte alles herausbrüllen, aber
ich konnte nicht. Nicht nach den vielen Jahren, in denen Jeb mir
beigebracht hatte, ich dürfte niemandem trauen – nie.
»Brauchst du Hilfe?«
Meine Augen wanderten zu ihrem Gesicht zurück.
»Max – mit deinen Flügeln –, kannst du tatsächlich fliegen?«
» Ja, schon«, rutschte es mir unwillkürlich heraus. Das von
mir: Maximum mit dem Mund wie ein Tresor aus Stahl. Jawohl,
du brauchst schon sämtliche Tricks, um mich zum Reden zu
bringen. O Gott. Das kam nur daher, weil ich in einem weichen
Bett geschlafen und köstliches Essen gegessen hatte.
»Wirklich? Du kannst tatsächlich fliegen?« Sie schaute mich
fasziniert an, aber auch ein wenig besorgt und neidisch.
Ich nickte. »Meine Knochen sind … dünn«, begann ich und
hasste mich dabei. Halt die Klappe, Max! »Dünn und leicht. Ich
habe zusätzliche Muskeln. Meine Lunge ist größer. Mein Herz
auch. Alles ist effizienter. Aber ich muss ’ne Menge essen. Das
ist schwierig.« Abrupt brach ich ab und wurde rot. Das, Leute,
war das Meiste, das ich je zu jemandem gesagt hatte, der nicht
zu unserem Schwarm gehörte. Aber wenn ich schon quatsche,
dann gleich alles! Ebenso gut hätte ich ein Flugzeug mieten
können, das mit Riesenbuchstaben an den Himmel schrieb: Ich
bin eine Mutantin, eine Missgeburt!
»Wie ist das geschehen?«, fragte Ellas Mom leise.
Meine Augen schlossen sich unwillkürlich. Wäre ich allein
gewesen, hätte ich die Hände über die Ohren gelegt und mich
auf dem Fußboden zu einem Ball zusammengerollt. Bruchstücke
von Bildern und Erinnerungen, Angst, Schmerzen – alles
wirbelte in meinem Kopf gleichzeitig umher. Du glaubst, dass es
für einen normalen Teenager schwierig ist, erwachsen zu
werden? Dann versuch es mal mit einer DNA, die nicht deine
eigene ist, die nicht einmal von einem Säugetier stammt!
»Ich erinnere mich nicht«, erklärte ich ihr.
Es war eine Lüge.
41
D
r. Martinez schaute mich besorgt an. »Max, bist du sicher,
dass ich dir nicht irgendwie helfen kann?«
Ich schüttelte den Kopf. Ich war auf mich wütend und auf sie,
weil sie das alles in mir aufgerührt hatte. »Nein, ist auch schon
längst vorbei. Erledigt. Aber – ich muss weg von hier. Auf mich
warten Freunde. Es ist wirklich wichtig.«
»Wie kommst du zu ihnen? Kann ich dich hinfahren?«
»Nein«, antwortete ich. Dann runzelte ich die Stirn und rieb
mir die verletzte Schulter. »Ich muss – äh – dahin fliegen. Aber
ich glaube nicht, dass ich fliegen kann.«
Dr. Martinez dachte nach. »Es wäre für dich gefährlich, deinen
verletzten Flügel zu benutzen, ehe er ausgeheilt ist. Ich kann das
Ausmaß der Verletzung nicht genau sehen. Aber ich könnte dir
mehr sagen, wenn ich eine Röntgenaufnahme hätte.«
Ich blickte sie ernst an. »Haben Sie einen Röntgenblick?«
Sie lachte überrascht. Auch ich musste unwillkürlich grinsen.
Mein Gott, Ella hatte das immer. Eine richtige Mom.
»Nein, keiner von uns hat übermenschliche Fähigkeiten«,
sagte sie. »Aber wir haben Zugang zu Röntgengeräten.«
Dr. Martinez teilte sich die tierärztliche Praxis mit einem
anderen Arzt. Heute hatte sie zwar frei, aber sie war sicher, dass
niemand sich etwas dabei denken würde, wenn wir in der Praxis
auftauchten. Sie gab mir einen Anorak, aber ich war trotzdem
furchtbar aufgeregt, andere Menschen so nah zu sehen.
»Hallo, Leute«, sagte Dr. Martinez, als wir in die Praxis
kamen. »Das ist eine Freundin
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