Patterson James
zu sehen –
ich war so daran gewöhnt, ihn zu betrauern, nicht, ihn
abgrundtief zu verachten.
Ari hielt inne. Sein stinkendes Maul war direkt über Fangs
Hals. Fang war bewusstlos, atmete aber noch.
»Ari!«, sagte Jeb noch mal. »Du hast deine Befehle.«
Jeb kam auf mich zu, dabei behielt er Ari im Auge. Nach
endlosen Sekunden zog sich Ari langsam, ganz langsam von
Fang zurück. Dieser lag widernatürlich zusammengekrümmt im
Sand.
Jeb blieb vor mir stehen.
Er hatte mir das Leben mehr als ein Mal gerettet. Er hatte
unser aller Leben gerettet. Er hatte mir beigebracht zu lesen, wie
man Rühreier macht, wie man Autos kurzschließt. Früher hatte
ich an ihm gehangen, als sei er der Atem in meiner Lunge. Er
war meine einzige Konstante, meine einzige Gewissheit.
»Begreifst du es jetzt, Max?«, fragte er freundlich. »Siehst du
die unglaubliche Schönheit des Spiels? Kein Kind, kein
Erwachsener, niemand hat je erfahren, was du empfindest.
Verstehst du jetzt, weshalb all das notwendig ist?«
Der Eraser, der mich festhielt, nahm seine Hand von meinem
Mund, damit ich sprechen konnte. Sofort räusperte ich mich und
spuckte aus. Dabei traf ich Jebs Schuh.
»Nein«, sagte ich ruhig, obwohl ich im Inneren schrie und zu
Fang laufen wollte. »Ich begreife es nicht. Ich werde es nie
verstehen. Ich will raus aus allem.«
Sein herzzerreißend vertrautes Gesicht verzog sich, als würde
er gleich die Geduld mit mir verlieren. »Aber ich habe dir doch
gesagt, dass du die Welt retten wirst«, sagte er. »Das ist der
Zweck deiner Existenz. Glaubst du, ein normales, nicht
trainiertes vierzehnjähriges Mädchen könnte das schaffen? Nein.
Du musst die Beste sein, die Stärkste, die Klügste. Du musst
absolute Spitze sein. Maximum. «
Ich gähnte und verdrehte die Augen, weil ich wusste, dass er
das hasste. Jeb biss vor Ärger die Zähne zusammen. »Versage ja
nicht«, sagte er dann mit harter Stimme. »In New York hast du
dich okay gehalten, aber du hast auch ernste, ziemlich blöde
Fehler gemacht. Fehler schaden dir. Triff bessere Entscheidungen.«
»Du bist nicht mehr mein Dad, Jeb«, sagte ich und versuchte
so hasserfüllt wie möglich zu klingen. »Du bist nicht für mich
verantwortlich. Ich tu, was ich will. Ich habe mir selbst den
Namen gegeben: Maximum Ride.«
»Ich werde immer für dich verantwortlich sein«, erklärte er
barsch. »Wenn du glaubst, dass du tatsächlich selbst dein Leben
bestimmst, dann bist du offenbar nicht so gescheit, wie ich
geglaubt habe.«
»Entscheide dich«, fuhr ich ihn an. »Entweder bin ich die
Größte oder nicht. Na, was jetzt?«
Er gab mit der Hand ein Zeichen, und die Eraser ließen mich
und Iggy los. Ari drehte sich um, grinste gemein und blies mir
eine Kusshand zu.
Ich spuckte nach ihm. »Daddy liebt mich immer noch am
meisten!«, zischte ich. Er lief dunkelrot an.
Er ging mit geballten Fäusten schnell einen Schritt in meine
Richtung, aber die anderen Eraser stießen ihn unsanft zurück.
Sie schoben ihn zu einem der großen Felsen am Ende unseres
Strandes. Jeb war bei ihnen. Nein, er war einer von ihnen.
M
eine Schulter brannte wie die Hölle, als ich zum Strand
hinunterlief. Zuvor hatte ich Fang abgetastet, ob er sich
den Hals gebrochen hatte. Dann drehte ich ihn behutsam um.
Blut tropfte aus seinem Mund.
»Fang, du musst aufwachen«, flüsterte ich. Die anderen liefen
zu uns. »Er sieht echt übel aus«, sagte der Gasman. »Er sollte
zum Arzt.«
Nichts schien gebrochen zu sein – außer vielleicht der Nase –,
aber er war immer noch ohne Bewusstsein. Ich legte seinen
Kopf in meinen Schoß und tupfte mit meinem Sweatshirt die
Blutstreifen von seinem Gesicht.
»Wir könnten ihn tragen, du und ich«, sagte Iggy. Seine
langen, schmalen Finger glitten über Fang und ertasteten jede
Beule und das Blut.
»Und wohin?«, fragte ich. Ich hörte die Bitterkeit in meiner
Stimme. »Wir können ihn ja nicht einfach so ins Krankenhaus
bringen.«
»Kein Krankenhaus«, murmelte Fang, immer noch mit
geschlossenen Augen.
Mann, war ich erleichtert!
»Fang!«, sagte ich. »Wie schlimm ist es?«
»Ssiemiich ssslimm!«, antwortete er undeutlich. Dann stöhnte
er, als er versuchte, sich auf die Seite zu legen.
»Nicht bewegen!«, befahl ich ihm, aber er drehte den Kopf
und spuckte Blut in den Sand. Dann hob er die Hand und
spuckte etwas hinein. Erst danach öffnete er die Augen.
»Zahn«, erklärte er. »Fühl mich echt scheiße.« Dann berührte
er die
Weitere Kostenlose Bücher