Patterson, James - Alex Cross 02 - Denn Zum Küssen Sind Sie Da
warm war. Mit den Armen und Beinen stützte ich mich am Gepäckständer ab. Ich war auf dem Dach verkeilt wie ein Koffer von Samsonite.
Ich würde nicht von hier oben weichen, nicht wenn ich es verhindern konnte. Er hatte mindestens ein halbes Dutzend Frauen in Los Angeles und Umgebung umgebracht, und ich mußte herausfinden, ob Naomi noch am Leben war. Er kannte Casanova und wußte etwas über Scootchie.
Rudolph gab wieder Gas, und der Motor heulte, während er versuchte, mich abzuschütteln. Er fuhr Schlangenlinien. Bäume und alte Telefonleitungsmasten rasten schnell und verschwommen an mir vorbei. Die Tannen, Redwoods und die Bergreben waren wie die wechselnden Muster in einem Kaleidoskop. Das meiste Laub war bräunlichgrau, kratzig wie Weingärten im Nappa Valley. Es war ein seltsamer Blickwinkel auf die Welt. Ich genoß die Aussicht nicht unbedingt. Es erforderte meine ganze Kraft, mich auf dem Dach festzuklammern.
Rudolph fuhr sehr schnell auf der schmalen, kurvenreichen Straße, hundertzwanzig oder hundertdreißig, wo schon achtzig gefährlich waren.
Die FBI-Agenten oder was von ihnen übrig war, hatten uns nicht eingeholt. Wie sollten sie auch? Sie mußten zu ihren Autos zurückrennen. Sie waren mehrere Minuten hinter uns. Andere Autos begegneten uns, als wir uns dem Pacific Coast Highway näherten. Die Fahrer bedachten uns mit merkwürdigen Blicken. Ich fragte mich, was Rudolph beim Fahren dachte. Er versuchte nicht mehr, mich abzuschütteln. Was hatte er noch für Möglichkeiten? Vor allem – was plante er als nächstes? Im Augenblick steckten wir beide in der Klemme. Einer von uns beiden hatte sehr viel zu verlieren, und zwar sehr bald. Will Rudolph war immer zu schlau gewesen, als daß er gefaßt worden wäre. Er rechnete bestimmt nicht damit, daß er jetzt erwischt wurde. Aber wie wollte er aus dieser Situation herauskommen? Ich hörte das laute Tuckern des Dieselmotors in einem VW-Bus. Das Heck des Busses kam schnell auf mich zu. Wir überholten ihn, als wäre er geparkt.
Als wir uns der Ozeanstraße näherten, kam uns ein Verkehrsstrom entgegen. Meistens junge Leute, die einen Abendausflug machten. Etliche zeigten auf den Range Rover und hielten es für einen Riesenwitz. Irgendein Arschloch aus dem Sur, das eine Show abzog, nicht wahr? Ein alter Witzbold, der sich am Tequila besoffen hatte oder high war. Ein Irrer, an das Dach eines Range Rover geklammert, der hundertzwanzig fuhr, auf einer Straße, die im Grunde nichts als ein Parkplatz mit schöner Aussicht war. Gottverdammt noch mal, was hatte er als nächstes vor? Rudolph machte sich nicht die Mühe, auf der kurvenreichen, stark belebten Asphaltstraße das Tempo zu drosseln. Die entgegenkommenden Autofahrer drückten wütend auf die Hupe. Niemand versuchte, uns anzuhalten. Wie hätten sie das auch machen sollen? Was konnte ich jetzt machen? Mich festhalten, so gut ich konnte, und beten!
71. Kapitel
Ein heller Streifen des graublauen Ozeans blitzte durch den Vorhang aus Tannen- und Redwoodästen auf. Ich hörte aus der langsam vorankommenden Autokolonne vor uns dröhnende Rockmusik. Eine Musikcollage lag in der Luft: Pop 40 Rap, Grunge-Bands von der Westküste, AcidRock von vor dreißig Jahren.
Ein weiteres Aufblitzen pazifischen Blaus traf mich voll in die Augen. Die untergehende Sonne warf ihren goldenen Schein auf die Tannen. Seeschwalben und Möwen kreisten langsam über den Bäumen. Dann sah ich den Pacific Coast High Way, der sich in voller Länge vor mir ausbreitete.
Was zum Teufel hatte Rudolph vor? Er konnte nicht einfach nach Los Angeles zurückfahren. Oder war er so verrückt, es zu versuchen? Irgendwann würde er zum Tanken halten müssen. Was würde er dann machen?
Richtung Norden war wenig Verkehr auf dem Highway, aber nach Süden war er stark. Der Range Rover fuhr immer noch hundert oder schneller – raste wilder, als das für jedermann auf der kurvenreichen Nebenstraße ratsam war, vor allem beim Abbiegen auf die belebtere Küstenstraße.
Rudolph wurde nicht langsamer, als er sich dem dichtbefahrenen Highway näherte. Ich sah Familienkombis, Kabrios, Fahrzeuge mit Vierradantrieb. Wieder einmal ein verrückter Samstag abend an der kalifornischen Nordküste, aber er sollte noch sehr viel verrückter werden.
Wir waren jetzt noch fünfzig Meter vom Highway entfernt. Rudolph fuhr so schnell wie eh und je, wenn nicht schneller. Meine Arme waren steif und taub. Meine Kehle war trocken von den Abgasen. Ich wußte nicht, wie
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