Patterson, James - Alex Cross 03 - Sonne, Mord und Sterne
gab es noch mehr Schichten zu entdecken – Schicht auf Schicht –, bis man zum Kern des Schreckens gelangte.
Grayer und ich verließen den vergoldeten Aufzug in der Etage, in der das Verbrechen verübt worden war. Es wimmelte von New Yorker Polizei. Notarztteams, Antiterrortruppen mit Helmen und Plexiglasmasken, Polizisten in Uniform und Detectives der Mordkommission. Ein grauenvolles Durcheinander. Ich machte mir Sorgen, dass Beweise verfälscht würden und etwas an die Presse durchsickern könnte.
»Was ist mit dem Präsidenten?«, fragte uns ein Detective, kaum dass wir angekommen waren. »Irgendwas Neues? Besteht Hoffnung?«
»Noch lebt er. Sicher, es gibt Hoffnung«, antwortete Jay Grayer. Dann gingen wir weiter, fort von dem Rudel der Detectives.
In der Hotelsuite drängten sich ungefähr ein Dutzend Polizisten und FBI-Agenten. Von der Straße klangen die Unheil verkündenden Polizeisirenen herauf. Kirchenglocken läuteten. Wahrscheinlich die der St. Patrick’s Cathedral, ein Stück südlich der Fifth Avenue.
Auf dem dicken grauen Teppich lag eine blonde Frau direkt neben dem ungemachten Doppelbett. Gesicht, Hals und Brust waren mit Blut bedeckt. Sie trug einen silberblauen Jogginganzug.
Bei den Nike-Schuhen lag eine Brille mit schmaler Metallfassung.
Ihre Erschießung war wie eine Hinrichtung gewesen – wie die früheren Opfer Jack und Jills.
Ein Schuss in den Kopf, aus nächster Nähe.
Sehr professionell. Sehr kaltblütig.
Keine Leidenschaft.
»Stand sie je auf unserer Liste der Verdächtigen?«, fragte ich Grayer. Wir wussten, dass die Tote Sara Rosen hieß. Bei der Sicherheitsüberprüfung der Mitarbeiter des Weißen Hauses war sie sauber gewesen. Sie war trotz zweier »gründlichster« Überprüfungen sämtlicher Mitarbeiter unentdeckt geblieben. Das war bis jetzt die erschreckendste Erkenntnis.
»Soweit wir wissen, stand sie nicht auf der Liste. Sie gehörte sozusagen zur Einrichtung im Kommunikationsbüro des Weißen Hauses. Alle mochten sie ... ihre Tüchtigkeit, ihre professionelle Arbeit. Man traute ihr. Herrgott, was für eine Sauerei. Eine Katastrophe. Man hat ihr vertraut, Alex.«
Die linke Gesichtshälfte der Frau war teilweise weggerissen, als wäre ein Tier über sie hergefallen. Auf dem verstümmelten Gesicht lag ein Ausdruck des Erstaunens. Ihre Brauen waren hochgezogen, und in den Augen lag keine Angst.
Jill hatte ihrem Mörder vertraut. Hatte Jack den Abzug betätigt? Mir fiel der graue Ring um die Wunde auf. Pulverschmauch. Ein Schuss aus nächster Nähe. Es musste Jack gewesen sein. Professionell. Keine Leidenschaft. Wieder eine Exekution.
Aber ist sie wirklich Jill? Diese Frage quälte mich, als ich mich über die Leiche beugte. Der Kontraktkiller Kevin Hawkins war im St. Vincent’s Hospital in der Innenstadt gestorben. Wir wussten, dass Hawkins sich als FBI-Agentin verkleidet hatte, um in den Madison Square Garden zu gelangen. Er hatte eine Aufschlagsbombe benutzt; auf diese Weise konnte er seine Zielperson erwischen, wann und wo er wollte. Als Frau verkleidet hatte er im Tunnel gewartet. Und es hatte geklappt. In welcher Beziehung stand Kevin Hawkins zu dieser Frau? Was zum Teufel lief hier ab?
»Er – oder irgendjemand – hat eine Art Gedicht hinterlassen. Sieht wie die anderen aus«, sagte Jay Grayer. Die Botschaft steckte in einer Klarsichthülle, in der Beweisstücke aufbewahrt wurden. Er reichte sie mir. »Jack und Jills Letzter Wille und Testament«, sagte er.
»Das perfekte Attentat«, murmelte ich mehr zu mir selbst als an Grayer gewandt. »Jack und Jill, beide tot in New York. Fall abgeschlossen, stimmt’s?«
Der FBI-Mann blickte mich an; dann schüttelte er langsam den Kopf. »Dieser Fall wird niemals abgeschlossen sein. Jedenfalls nicht zu unseren Lebzeiten.«
»Ich hatte das auch ironisch gemeint«, sagte ich.
Dann las ich die Abschiedsbotschaft.
Jack und Jill kamen zum Capitol Hill, Jill tat, was sie tun musste.
Aus sehr wichtigen Gründen.
Das Spiel ist nun aus, Jill lebt nicht mehr Doch ihre Sache war gerecht Ihre Mission war hehr.
»Leck mich, Jill«, flüsterte ich der Leiche zu. »Ich hoffe, du schmorst in der Hölle für das, was du heute getan hast. Ich hoffe, dass es eine Hölle gibt, eigens für dich und Jack.«
94.
Nirgends nahm man die Meldung über das Attentat schwerer auf als in Washington. Thomas Byrnes wurde geliebt und gehasst, aber er war ein fester Bestandteil der Stadt – besonders jetzt .
Christine Johnson stand unter
Weitere Kostenlose Bücher