Patterson, James - Alex Cross 03 - Sonne, Mord und Sterne
Schock, wie auch ihre engsten Freunde und fast alle Bekannten. Die Lehrer und Schüler der Sojourner Truth waren wegen des Attentats auf den Präsidenten am Boden zerstört. Es war so entsetzlich und unfassbar, was in New York geschehen war, aber auch so unerträglich traurig und real.
Wegen des Attentats hatten alle Schulen in Washington an diesem Nachmittag unterrichtsfrei. Christine Johnson hatte die albtraumhafte Fernsehübertragung des Anschlags von dem Augenblick an verfolgt, als sie von der Schule nach Hause gekommen war. Sie konnte immer noch nicht fassen, was geschehen war. Niemand konnte es fassen. Aber der Präsident lebte noch. Es wurden keine anders lautenden Bulletins ausgegeben.
Christine Johnson wusste nicht, ob Alex Cross im Madison Square Garden gewesen war, aber sie rechnete damit. Auch wegen Alex machte sie sich Sorgen. Sie mochte die Aufrichtigkeit und die innere Stärke des Detectives, besonders aber sein Mitgefühl und seine Verletzbarkeit. Sie mochte, wie er aussah, wie er redete und handelte. Es gefiel ihr, wie Alex seinen Sohn Damon erzog. Bei diesem Gedanken wurde ihr Wunsch nach eigenen Kindern stärker. Sie musste unbedingt mit George über dieses Thema sprechen. Ja, sie musste mit George reden.
George Johnson kam abends kurz vor sieben nach Hause, ein, zwei Stunden früher als üblich. Er arbeitete als Firmenanwalt, ein sehr harter Job. George war siebenunddreißig und hatte ein glattes, attraktives Babyface. Er war ein netter Kerl, wenn auch ein wenig zu egozentrisch und, offen gesagt, manchmal ein bisschen verzogen wie ein Milchbubi.
Christine liebte ihn trotzdem, da gab es für sie keinerlei Zweifel. Sie nahm das Gute und das Schlechte. Daran dachte sie, als sie ihn an der Eingangstür stürmisch umarmte. Sie hatte George auf der Harvard University kennen gelernt, und seitdem waren sie zusammengeblieben. So sollte es sein – und so würde es auch bleiben, soweit es Christine betraf.
»Auf den Straßen weinen die Menschen immer noch«, sagte George. Nach der Umarmung streifte er sein Brooks-BrothersJackett aus reiner Wolle ab und lockerte die Krawatte, ging aber nicht nach oben, um sich umzuziehen. Heute Abend brach er mit all seinen gewohnten Verhaltensmustern. Gut für George.
»Ich habe Präsident Byrnes nicht gewählt, aber die Sache hat mich trotzdem ganz schön mitgenommen, Chris. Was für eine verdammte Schande.« In seinen Augen standen Tränen. Sofort musste auch Christine wieder weinen.
Üblicherweise behielt George seine Gefühle für sich. Er fraß alles in sich hinein. Christine bewegte die Gefühlsregung ihres Mannes. Sehr sogar.
»Ich habe ein paarmal geweint«, vertraute sie George an. »Du kennst mich. Ich habe den Präsidenten gewählt, aber darum geht es gar nicht. Es geht darum, dass es den Anschein hat, als würden wir den Respekt vor jeder Institution, vor allem Beständigen verlieren. Die Achtung vor dem menschlichen Leben. Das sehe ich sogar in den Augen sechsjähriger Schulkinder. Ich sehe es jeden Tag in der Truth.«
Wieder nahm George Johnson seine Frau in die Arme und zog sie fest an sich. Mit einsachtzig war er genauso groß wie sie. Christine schmiegte ihren Kopf an seine Wange. Sie roch leicht nach Zitronenparfüm. Sie hatte es zur Schule getragen.
George Johnson liebte Christine. Sie war nicht wie andere Frauen. Sie war mit keinem Menschen zu vergleichen, den er kennen gelernt hatte. Er fühlte sich unsagbar glücklich, sie zu haben, von ihr geliebt zu werden, sie in den Armen zu halten so wie jetzt.
»Verstehst du, was ich sage?«, fragte sie. Sie wollte, musste heute Abend mit George reden. Sie wollte ihn nicht entwischen lassen, wie er es oft tat.
»Ja, sicher«, erwiderte er. »Alle fühlen es, Chrissie. Aber niemand weiß, wo man anfangen soll, um diesem Wahnsinn Einhalt zu gebieten.«
»Ich mache uns was zu essen. Dann können wir uns die neuesten Nachrichten bei CNN anschauen«, sagte sie schließlich. »Irgendwie möchte ich die Nachrichten gar nicht sehen, andererseits ... irgendwas zwingt mich dazu.«
»Ich helfe dir beim Kochen«, erbot sich George, was selten vorkam. Christine wünschte sich, er wäre öfter so wie heute – und dass es keiner nationalen Tragödie bedurfte, dass George sich seiner Gefühle bewusst wurde. Na ja, viele Männer waren so, wie sie wusste. Es gab schlimmere Probleme in einer Ehe.
Gemeinsam bereiteten sie ein vegetarisches Gumbo und öffneten eine Flasche Chardonnay. Sie hatten gerade das Abendessen
Weitere Kostenlose Bücher