Patterson, James - Alex Cross 04 - Wenn Die Mäuse Katzen Jagen
genauso, wie er es sich immer vorgestellt hatte. Er wußte, was als nächstes kam und wie alles enden würde.
Gary Soneji preßte sich das fünfzehn Zentimeter lange Messer gegen das Bein. Es war ein echtes Sammlerstück, das einen Perlmuttgriff und eine schmale, geschwungene beidseitige Schneide hatte.
»Ein Prachtstück für einen Prachtkerl!« hatte ein schmieriger Verkäufer vor langen Zeit zu ihm gesagt. »Packen Sie es ein!« hatte er geantwortet, und seither war das Messer seins. Für besondere Gelegenheiten wie heute. Einst hatte er einen FBIAgenten namens Roger Graham damit ermordet.
Er ging an Hudson News vorbei, an den ganzen Gesichtern auf den Hochglanzmagazinen, die in die Welt starrten, ihn anstarrten, ihre Botschaft verkünden wollten. Er wurde immer wieder von den Pendlern geschubst und gestoßen. Mann, hörten die damit denn nie auf?
Wow! Er sah eine Gestalt aus seinen Träumen von vor langer Zeit, als er noch ein Kind gewesen war. Da war der Typ! Kein Zweifel. Er erkannte das Gesicht, die Art, wie er sich bewegte, einfach alles an ihm. Es war ein Typ in graugestreiften Geschäftsklamotten, der ihn an seinen Vater erinnerte.
»Das hast du schon lange herausgefordert!« knurrte Soneji Mr. Nadelstreifen an. »Du hast es so gewollt.«
Er stieß mit dem Messer zu, spürte, wie die Klinge in das Fleisch eindrang. Es war genauso, wie er es sich vorgestellt hatte. Der Geschäftsmann fühlte, wie das Messer in der Nähe seines Herzens eindrang. Ein verängstigter, bestürzter Ausdruck flog über sein Gesicht. Dann fiel er zu Boden, tot wie ein Stein, mit nach hinten verdrehten Augen und einem im stummen Schrei erstarrten Mund.
Soneji wußte, was er als nächstes tun würde. Er fuhr herum, tänzelte ein wenig nach links und erstach ein zweites Opfer, einen lockeren Typen, der ein T-Shirt mit dem Schriftzug »Naked Lacrosse« trug. Die Einzelheiten waren im Grunde nicht wichtig, aber einiges prägte sich ihm doch ein. Er erstach einen Schwarzen, der die Street News verkaufte. Drei für drei.
Worauf es wirklich ankam, war das Blut. Soneji beobachtete, wie sich das kostbare Blut auf den schmutzigen, fleckigen Betonboden ergoß. Es bespritzte die Kleidung von Pendlern, bildete Lachen unter den Leichen. Das Blut war ein Anhaltspunkt, ein Rorschachtest, damit die Polizei und die FBI-Jäger etwas zu analysieren hatten. Das Blut war da, damit Alex Cross sich den Kopf darüber zerbrach.
Gary Soneji ließ das Messer fallen. Unglaubliche Verwirrung war entstanden, überall Geschrei und Panik, die die wandelnden Leichen am Ende doch noch aufgeweckt hatte. Er schaute hinauf zu dem Labyrinth aus kastanienbraunen Wegweisern, allesamt sauber beschriftet: Ausgang 31st St. Paketausgabe, Touristeninformation, U-Bahn-Station Eighth Avenue . Aber er kannte den Weg hinaus aus der Penn Station. Es war alles vorbestimmt. Er hatte diese Entscheidung schon lange zuvor getroffen. Soneji huschte wieder zurück in die Tunnel, und niemand versuchte, ihn aufzuhalten. Er war wieder der böse Bube. Vielleicht hatte seine Stiefmutter in diesem Punkt doch recht gehabt. Seine Strafe würde heute darin bestehen, mit der New Yorker U-Bahn zu fahren. Igitt. Zum Fürchten!
19.
Es war gegen sieben an jenem Abend. Mich hatte eine seltsame, starke Empfindung gepackt, fast wie eine Offenbarung. Ich hatte das Gefühl, neben mir zu stehen und mich selbst zu beobachten. Ich fuhr auf dem Heimweg an der SojournerTruth-Schule vorbei, entdeckte Christine Johnsons Auto und hielt an. Ich stieg aus und wartete auf sie. Ich fühlte mich unglaublich verletzlich. Und ein bißchen töricht. Ich hatte eigentlich nicht damit gerechnet, daß Christine noch so spät in der Schule war.
Um Viertel nach sieben kam sie schließlich aus dem Gebäude, und sobald ich sie sah, blieb mir die Luft weg. Ich kam mir vor wie ein Schuljunge. Vielleicht war das gut so, denn wenigstens empfand ich wieder etwas.
Sie sah so frisch und attraktiv aus, als sei sie eben erst in der Schule angekommen. Christine hatte ein gelb und blau geblümtes Kleid an, mit einem Gürtel um ihre schmale Taille, trug blaue Pumps und eine Tasche in derselben Farbe über der Schulter. Der Titelsong aus Warten auf Mr. Right ging mir durch den Kopf, es stimmte, ich wartete.
Christine bemerkte mich, und ihr Gesicht nahm sofort einen besorgten Ausdruck an. Sie ging schnell weiter, als hätte sie es eilig, irgendwohin zu kommen, überallhin, nur nicht zu mir.
Sie hatte die Arme über der Brust
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