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Patterson James

Patterson James

Titel: Patterson James Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gruene Weihnacht
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beschließen und bräuchte auf der Back Nine keinerlei Heldentaten mehr zu verrichten.
    Also zog ich den 60°-Wedge heraus und stellte mir im Geiste
einen weichen, trägen Heber vor, der direkt auf dem vorderen
Grünrand landen sollte.
    Verkünstle dich bloß nicht damit, sagte ich mir noch, während ich ein paar Übungsschwünge zum Lockern machte, aber
sobald ich den Ball geschlagen hatte, wusste ich, dass ich genau
das getan hatte.
    Ich traf den Ball nicht etwa nur mit der Ferse oder dem Hals
oder sonst irgendwie falsch. Ich schlug ihn lediglich knapp
zwei Meter zu kurz, sodass er sanft wie ein Omelett am gegenüberliegenden Rand in den Bunker plumpste, so sanft, dass er
noch nicht einmal ganz hinunterrollte, sondern direkt da liegen
blieb, wo er landete – unter der verdammten Lippe.
    Ich konnte nicht glauben, was ich da eben getan hatte, konnte
es einfach nicht fassen. In einer Nanosekunde war ich von der
Vorstellung einer netten, persönlich gehaltenen Ansprache vor
dreitausend Leuten in einen Zustand eiskalter Panik katapultiert worden. Unter der verdammten Lippe! Unter der verdammten Lippe! UNTER DER VERDAMMTEN LIPPE!
    In diesem Augenblick kämpften in meinem gequälten Hirn
zwei Stimmen verzweifelt um die Oberhand. Die eine riet beschwörend zur Schadensbegrenzung und mahnte zur Zurückhaltung. »Den Ball zurückchippen und mit Eisen 5 oder 6
in einem Zug raus hier. Du bist noch jung. Du hast noch dein
ganzes Leben vor dir.«
    Die andere Stimme klang wie ein angeschossenes Tier, mein
ganz persönlicher Othello. Ich fühlte mich durch den letzten
Schuss so verraten und verletzt, so unglaublich beschissen und
gedemütigt, dass es schon fast an Selbstzerstörung grenzte.
    Die Stimme drängte mich dazu, knietief hineinzuwaten und
den Ball da heraus und aufs Grün zu prügeln, wie es John Daly
auf der 17 bei den British Open fertig gebracht hatte.
    Ich hörte auf die Stimme, die lauter war: den angeschossenen
Möchtegern-John-Daly.
Also stapfte ich in den Bunker hinunter und grub hasserfüllt
die Füße einen halben Meter unterhalb des Balls in den Sand.
Als ich mein Gleichgewicht gefunden und ein Bild meines
Schlags fest vor Augen hatte, holte ich mit dem Schläger steil
aus, aber gerade, als er mit vollem Karacho unter dem Ball
einschlug, meldete sich – perfektes Timing – die leisere Stimme
der Vernunft mit einer kurzen und knappen Charakterskizze
meiner Selbst zu Wort: »Arschloch!«
Das Ergebnis war, dass ich weder den Ball aufs Grün noch
nach hinten weg schlug.
Ich schlug den Ball nämlich gar nicht, nicht einmal ansatzweise. Das Schlägerblatt bohrte sich gleich hinter dem Titleist
mindestens zehn Zentimeter tief in den Sand. Allerdings dicht
genug am Ball, um diesen unter einer frischen Sandschicht zu
begraben.
Ich kam mir vor, als wäre ich gerade in meiner Hofeinfahrt
aus dem Auto gestiegen, nur um festzustellen, dass ich unseren
Hund überfahren hatte.
Ich spürte, wie mich von den Zehen bis zum Kopf glühende
Röte überzog, und mit beleidigten Kinderaugen blickte ich
mich um auf der Suche nach einem letzten Schlupfloch, das es
mir erlauben würde, den vorigen Schlag noch einmal zu machen.
Ich lag jetzt bei vier.
Völlig benommen chippte ich den Ball auf den Boden des
Bunkers – fünf.
Und dann an den hintersten Rand des Grüns – sechs.
Meinen ersten Putt schoss ich ganze drei Meter zu weit – sieben, den zweiten ließ ich einen halben Meter zu kurz – acht, und
lochte schließlich mit Schlag Nummer neun ein.
Neun! Wenn eine acht ein Schneemann ist, dann hatte ich
soeben einen ganz schauderhaften Schneemann geschossen.
Vor allem aber hatte ich mich gerade selbst ins Bein geschossen, mich aus dem Turnier geschossen, mich in irgendeinen
noch beschisseneren Job in einer noch beschisseneren Werbeagentur geschossen. In einem einzigen Anfall von Idiotie hatte
ich mir alles versaut, meine Brut aus dem Nest geworfen, all
meine Birdies und mein Eagle wieder davonfliegen lassen.
Alles, was ich mir in der vergangenen Woche erarbeitet hatte,
war in fünf Minuten zunichte gemacht.
Neben dem Grün stand eine Kokospalme, und ein paar prekäre Sekunden lang erwog ich tatsächlich, meinen Schädel solange gegen die raue Rinde zu schlagen, bis ich hirntot war.
Stattdessen tat ich dann jedoch etwas, was ich in meinem
ganzen bisherigen Leben noch nie geschafft habe.
Ich vergab mir.
Ich sagte mir, Travis, du bist ein anständiger Kerl, der Frau,
Kinder und Hund liebt und wie jeder andere Mensch auf

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