Patty Janes Frisörsalon
ihre Tochter schon ihrem neuesten Freund entgegenrannte.
Noras Vorsatz, solange sie nicht mit den Dingen umgehen konnte, einfach so zu tun, als könnte sie es, hatte eine überraschende Wirkung: Sie begann Zuneigung, echte Zuneigung, zu ihrem Vater zu empfinden.
»Er ist ziemlich daneben«, vertraute sie Lori an, »und nicht ganz da ... aber er gehört mir.«
Als der letzte Gast der Junggesellenfeier gegangen war, drückte Patty Jane Clyde Chuka gegen die Tür und küÃte ihn mit Inbrunst. Es war seit Thors Rückkehr die erste Nacht, die sie bei ihm verbrachte.
Natürlich hatte niemand von ihr erwartet, daà sie ihre neue Liebe für eine aufgeben würde, die nur in der Erinnerung existierte, aber sie merkte selbst, daà sie sich Clyde Chuka vom Leibe hielt. SchlieÃlich wurde ihr klar, daà nicht ein Loyalitätskonflikt oder eine Verwirrung der Gefühle sie von Clyde Chukas Bett fernhielt, sondern schlicht und einfach Erschöpfung: Die neuen Pflichten, die sie zu bewältigen hatte, hatten sie körperlich und emotional völlig ausgepumpt.
Jetzt, am Morgen danach, schaltete Patty Jane das Radio ein und kochte, fröhlich vor sich hinsummend, den Kaffee. Sie räumte in aller Ruhe auf, warf Bierdosen in eine groÃe braune Einkaufstüte und säuberte die Aschenbecher.
Für den Herrenabend hatte Clyde Chuka seine Kunstwerke alle in eine Ecke geschoben. Patty Jane betrachtete eines, das auf einem Sockel aus zusammengedrücktem Draht stand: eine Figur, die aus einem alten Kotflügel, Spiegelscherben und Drahtbügeln gebildet war und die Gestalt einer Frau oder eines Tieres hatte â Patty Jane war sich nicht ganz sicher. Wie ein neugieriger Hund umrundete sie das Werk mit langsamen Schritten.
»Gefälltâs dir?«
Patty Jane fuhr zusammen. Clyde Chuka lehnte nackt, mit verschränkten Armen, am Türpfosten.
Patty Jane zog die Augenbrauen hoch. »Da fragst du noch?«
Er ging auf sie zu, und Patty Jane trat ein wenig zurück, um ihn, die Hand am Kinn, zu mustern. »Hm«, sagte sie, »die Linienführung ist ganz gut, allerdings sieht es mir weniger nach harmonischer Ãbereinstimmung aus als nach ... Kampf.«
»Hast du Kampf gesagt?« Er war beinahe bei ihr, aber Patty Jane trat noch einmal zurück und hielt einen guten Schritt Abstand zwischen ihnen.
»Nein, das nehme ich zurück.« Demonstrativ lieà sie ihren Blick langsam über seine Brust zu seinen Lenden hinunterwandern. »Nicht Kampf. Niederlage.«
Clyde Chuka lachte. »Niederlage, sagst du? Dieser Turm in der Schlacht sieht geschlagen aus?«
»Ach so, ein Turm in der Schlacht soll das sein! Komisch, wie subjektiv Kunst sein kann.«
Sie streckten die Arme zueinander aus und tanzten rückwärts zur Couch.
Der erste Schnee des Winters 1968 fiel, als Patty Jane, die Brautführerin, an der Spitze des kleinen Hochzeitszugs durch den Gang von Iones Kirche schritt. Sie trug ein himmelblaues Samtkleid. Clyde Chuka, der schon seinen Platz als Trauzeuge vorn in der Kirche eingenommen hatte, beobachtete sie und fand, sie sähe aus wie eine betörende Mischung aus Prinzessin und Ballkönigin.
Patty Jane wackelte ein biÃchen beim Gehen. Sie hatte hochhackige Pumps an, die auf die Farbe ihres Kleides eingefärbt worden war. Harriet hatte darauf bestanden, daà ihre Schwester für diesen Tag auf ihre bequemen Treter verzichtete.
Ehe der Organist den Hochzeitsmarsch angestimmt hatte, hatte Patty Jane noch Nora über das Haar gebürstet und Thor das Revers seines Anzugs geradegezogen; sie hatte Harriets Brautstrauà bewundert â ein Arrangement aus Casablanca-Lilien, Wachsblumen und Teerosen â und an den Strauà aus Gartenblumen gedacht, den sie zu ihrer Hochzeit zusammengestohlen hatten; nervös hatten sie alle noch ein paar Worte gewechselt, schnell das Makeâup überprüft und Nora daran erinnert, daà sie nicht zu schnell gehen solle. Erst jetzt, als sie vorn in der Kirche stand, erlaubte sich Patty Jane, innerlich ein wenig Abstand zu nehmen und einfach Zuschauerin zu sein. Clyde Chuka, das Haar zu einem festen Zopf geflochten, sah so gut aus, wie ein Mann in einem geliehenen Smoking aussehen konnte. Ione, elegant in ihrem beigefarbenen Kostüm, saà in der ersten Reihe zwischen ihrem Sohn und ihrer Enkelin. Thor war immer noch mager und gebeugt, doch dank seiner täglichen
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