Patty Janes Frisörsalon
hereinhalf. Patty Jane, in einem weiten blauen Hemd über sehr kurzen Shorts, lag drinnen auf den Knien und schrubbte den Boden mit einer Energie, als wollte sie eine Schicht des Linoleums abtragen. Als sie Harriet und Clyde Chuka sah, lieà sie die Scheuerbürste fallen und richtete sich, die Hände auf die Schenkel gestützt, auf.
»Wo zum Teufel bist du gewesen?« fragte sie.
In Harriet begann beim Klang von Patty Janes Stimme etwas zu rebellieren. Sie war schlieÃlich volljährig.
»Ach Mensch, hör auf, mir auf die Nerven zu gehen«, sagte sie. Sie warf ihr Haar zurück und dachte flüchtig daran, wie Clyde Chuka es für sie zurückgehalten hatte, als sie sich ein paar Schritte von der Kneipe entfernt hinter einem Fliederbusch übergeben hatte. Jetzt ging sie, sich an der Kante der Arbeitsplatte festhaltend, zum Kaffeetopf auf dem Herd.
Patty Jane packte die Bürste und warf sie in den Eimer, daà das Wasser nach allen Seiten spritzte.
»Um Gottes willen, Harriet, du hast ja getrunken. Das kann ich sogar von hier aus riechen.«
Harriet nahm sich von einem der Haken neben dem Toaster einen Kaffeebecher.
»Gut. Vielleicht vertreibt das diesen Fichtennadelgestank«, gab Harriet zurück. »Hier riechtâs ja wie im Wald.«
Clyde Chuka hielt sich im Hintergrund wie ein vorsichtiger Schiedsrichter. Er konnte sich nicht erinnern, die Schwestern je im Streit gesehen zu haben.
Patty Jane lehnte sich mit verschränkten Armen an die Spüle und betrachtete Harriet aus zusammengekniffenen Augen. »Du schüttest alles daneben, ist dir das klar.«
Harriet stellte den Kaffeetopf wieder auf den Herd. »Das Mädchen war im Garten und hängte ihre Kleider auf«, sang sie, »da kam âne kleine Amsel und kackte ihr auf die Nase drauf.«
Patty Jane seufzte. »Es scheint dir ganz egal zu sein, daà ich mir Sorgen um dich gemacht habe.«
Harriet trank schlürfend ihren Kaffee. Ein Teil tröpfelte an ihrem Kinn hinunter. »Patty Jane«, lallte sie und wischte sich dabei mit dem Handrücken den Mund, »ich kann für mich selber sorgen.«
»Das ist mir neu.«
Harriet ging zur Spüle und wusch ihre Tasse so vorsichtig aus, als handle es sich um Iones kostbares Porzellan und nicht um dicke Keramik. Sie wischte sich die Hände an ihren Shorts ab und ging, beinahe in gerader Linie, zur Tür, die ins EÃzimmer führte.
»Gute Nacht, Clyde Chuka«, sagte sie, und ihre Stimme schwoll zum Singsang, als sie hinzufügte: »Gute Nacht, Wärterin.«
15
IN weniger als einem Monat stieg die Spannung zwischen den Schwestern, als hätte jemand Hefe hineingeschüttet. Nach Avels Tod hatte Harriet immer wieder sporadisch an Ekzemen gelitten; jetzt flammte es an ihrer Stirn, ihrem linken Auge und in Ketten kleiner Knötchen an den Seiten ihrer Finger erneut auf. Nach jedem Stück, das sie auf ihrer Harfe spielte, hielt sie inne, um sich eine Zigarette anzuzünden. Es gab jetzt keine Tanzeinlagen in ihrem Konzertrepertoire mehr; sie spielte Düsteres, manchmal sogar disharmonisch, und die Kundinnen tauschten unter ihren Lockenwicklern Blicke des Unbehagens. Sie kam zu keinem der Abendkurse mehr, und Ione fand in keiner Sprache eine Antwort auf Gudrun Muellers Frage: »Was ist los mit Harriet?« Harriet bat Evelyn Bright, die Leitung der Chorgruppe für sie zu übernehmen; sie brauche etwas freie Zeit, erklärte sie.
Es wurde bald offenkundig, daà sie freie Zeit zum Trinken brauchte. Mit dem einen Ohr, das für Vernunft noch zugänglich war, hörte sie Patty Janes Flehen, doch sie konnte nicht darauf achten, weil das Bedürfnis, den Schmerz, den sie so lange mit sich herumgeschleppt hatte, abzutöten, überwältigend war. Es war unglaublich, wie gut sie sich fühlte, wenn sie trank, wie erheitert â und erheiternd â, wie leicht und einfach das Leben erschien.
Nach einem späten Mittagessen, das sie immer allein einnahm, pflegte Harriet, angebrochene Thunfischdosen und aalverklebte Bratpfannen hinterlassend, sich aufzumachen, um die Bars der näheren und weiteren Nachbarschaft aufzusuchen. Die Wirkung des Alkohols machte sie mutig genug, Hotelbars in der Stadtmitte, irische Kneipen in St. Paul und Tanzlokale am Fluà zu erkunden.
Eines Nachmittags ging sie mit Patty Janes Schlüsseln zu dem rosaroten DeSoto, doch als Patty Jane das Geknatter des alten
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