Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille
und war auf dem Weg nach draußen, als Martin Vogelsang ihn abfing.
»Giorgio – hätten Sie mal ein paar Minuten …«
Natürlich hatte er. Und hoffentlich hatte Martin Vogelsang ein Problem, das in ein paar Minuten paßte. Der Mann hatte sich von Anfang an durch Gründlichkeit ausgezeichnet, die man auch Pingeligkeit nennen konnte, schon im ersten Telefongespräch. »Mir liegt daran, daß die historischen Details stimmen. Alles andere …«
Alles andere fällt unter die Freiheit von Kunst und Literatur, hatte DeLange gedacht. Schon verstanden. Hier wird schließlich kein Streifen für den Polizeilehrgang gedreht. Haben wir längst kapiert.
»Und wenn es die Dramaturgie verlangt …«
… dann schieß dir ins Knie, Bulle. Klar doch. Er hatte einen zustimmenden Laut von sich gegeben.
»Wir sind der Frankfurter Polizei natürlich dankbar für Rat und Unterstützung. Andererseits geht es um 1968. Und um es gleich zu sagen: Ich stand damals auf der anderen Seite.«
Nicht mein Problem, hatte DeLange gedacht. Ich war damals sieben.
»Mir ist der Film wichtig. Auch aus biographischen Gründen, verstehen Sie?«
Der Mann hatte gereizt geklungen, und DeLange hätte fast die Geduld verloren. Was machten diese Leute bloß für einen Aufstand? 1968 war lange her. Und soviel er wußte, hatten beide Seiten damals ziemlich viel Mist gebaut.
»Die Verantwortung für Ihren Film liegt ganz bei Ihnen, Herr Vogelsang. Wir halten uns da völlig raus.«
Nach diesem Telefongespräch wurde das Verhältnis zu Vogelsang langsam besser. Und mittlerweile war es fast freundschaftlich. Sie siezten sich zwar immer noch, nannten sich aber bei den Vornamen. Das Du kam wahrscheinlich bei der Abschiedsparty. Spätestens beim Preview.
»Ihre Männer«, sagte Vogelsang und wiegte das Haupt. »Ihre Männer sehen so harmlos aus. Trug man damals keinen Helm bei solchen Razzien?«
»Helme trägt man auch heute lediglich bei geschlossenen Einsätzen, Martin«, antwortete DeLange.
»Also – Sie sind mit der Szene zufrieden?« Vogelsang kaute nervös auf der Unterlippe. »Sie finden das alles realistisch?«
»Sicher«, sagte DeLange. »Sehr.« Eine Notlüge. Um seine Männer zu schonen. Und was sollte er sonst sagen? Realistisch war hier gar nichts.
Aus Sicht der Polizei ist der ganze Krimiquatsch sowieso Mumpitz, hätte er am liebsten gesagt. Bei uns kann man Frauen im Rang einer Kriminalhauptkommissarin suchen. Bei uns gibt es keine einsamen Lichtgestalten auf der Suche nach der Wahrheit. Keine genialen Eingebungen, keine kreative Ermittlungsarbeit, sondern Routine, Bürokratie und unfähigen Nachwuchs, desinteressierte Staatsanwälte, gestreßte Notärzte und heuchlerische Journalisten und, ganz am Ende, ein paar übernächtigte Pflichtmenschen, die sich mit dem geduldigen Bohren dicker Bretter beschäftigen. Bei uns gibt es keinen Fall, bevor nicht die Akte dazu angelegt wurde.
Eigentlich braucht ihr uns nicht. Ihr betreibt Kunst, wir Handwerk. Die Wirklichkeit ist witzlos. Meistens jedenfalls.
Aber im Frankfurter Polizeipräsidium sah man das anders. Klara hielt den Krimiboom für ein Identifikationsangebot an »die Menschen«. Fand das prima, all diese feinfühligen Bildschirmermittler. Sah darin den willkommenen Gegenentwurf zum Klischee vom blöden Bullen. »Wir müssen ein Kulturfaktor sein«, pflegte der Polizeipräsident zu predigen, dessen Lieblingsthema »Bürgernähe und Imagewechsel bei der Polizei« hieß. Na, wenn’s der Wahrheitsfindung dient.
Martin Vogelsang seufzte. »Lassen Sie uns kurz über die Verhörszene morgen reden. Ich hätte das gern authentisch.«
Authentisch. Na klar. Ausgerechnet die Produzenten von Träumen pochten auf die Wirklichkeit. Aber warum nicht. An ihm sollte das nicht scheitern. Ausrüstung und Outfit der Polizisten waren Vintage 60er Jahre, direkt aus dem Summer of Love 1968, darum hatte er sich schon vor Monaten gekümmert – und sogar zwei allerliebste VW Käfer organisiert, mit denen man damals zum Einsatz fuhr. Auch wie man seinen Kunden den Dienstausweis hinhält, hatte er mit den Darstellern von Jensen und Herrmann, den beiden Kripomännern, geübt. Und daß der Fußtritt gegen die Wohnungstür gekonnt war – geschenkt. Seine Jungs kannten sich aus. Und er war früher auch nicht ohne gewesen.
Vogelsang fuhr sich durch die Haare. »Das Vernehmungszimmer. Da müssen nicht nur die Tische und Stühle stimmen. Da muß die ganze Atmosphäre den Geist von damals atmen.«
Wenn man das
Weitere Kostenlose Bücher