Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille
war. Sie hatte schon vor so langer Zeit vergessen, was Liebe war. Aber sie erinnerte sich immer besser daran.
Die Hochzeit mit Hanswolf, dessen Nachname an ihr klebengeblieben war, hatte mit Liebe jedenfalls nichts zu tun gehabt. Sie war sehenden Auges in eine Falle gelaufen. Und warum?
Weil ich eine anständige Frau werden wollte, dachte sie. Nach all den wilden Jahren und dem Dope und dem Koks und dem Alkohol. Weil ich ankommen wollte. Weil ich ein Reihenhaus mit Gärtchen und einen Mann mit regelmäßigem Einkommen plötzlich gar nicht mehr so spießig fand. Weil ich an ein Kind dachte. Oder an zwei. Wie alle Frauen, die ihren 40. Geburtstag nahen sehen.
Weil ich ein normales Leben führen wollte.
Daß es ein Fehler war, ihn zu heiraten, hatte sie geahnt. Aber Marlene hatte es gesehen. Ihre Fotos waren der letzte Beweis.
Marlene plante einen Bildband zum Thema »Ehen heute«, und da sie eine bekannte Fotografin und Hanswolf eitel war, hatte er zugestimmt, als sie darum bat, die Hochzeit fotografieren zu dürfen. Sophie war nicht wohl gewesen bei dieser Entscheidung. Auf Marlenes Fotos gaben die Menschen preis, was sie womöglich selbst nur ahnten über sich. Nicht weil Marlene sie entlarven wollte. »Sondern weil sie ins Herz der Dinge sieht, schon gut, und diesen esoterischen Quatsch erzählst ausgerechnet du.« Hanswolf. Aber er hatte es später sorgfältig vermieden, auch nur ein Wort zu Marlene und ihren Fotos zu sagen. Schon gar nicht hatte er sich bei ihr bedankt.
Doch selbst Sophie hatten die Fotos zuerst sprachlos gemacht. Man sah eine viel zu elegant angezogene Braut neben einem Mann in ungebügeltem Hemd ohne Schlips unter einem schlabbrigen Sakko. Wenigstens war er rasiert. Man sah zwei ältere Damen, die beiden verwitweten Mütter, deren Gesichtsausdruck zwischen Irritation und Mißbilligung schwankte. Man sah einen steifen Standesbeamten und eine verlegen kichernde Braut. Man sah zwei Menschen, die nicht wußten, was sie taten, als sie ihre Unterschrift unter das Schriftstück setzten, das den großen Schritt »Vom Ich zum gemeinsamen Wir« besiegeln sollte.
Sophie fühlte, wie ihr die Hitze ins Gesicht stieg. Warum hatte sie ihrem Gefühl nicht getraut, das ihr sagte: Ihr paßt nicht zusammen. Ihr liebt euch nicht. Ihr handelt aus Einsamkeit und Verzweiflung, nicht aus freier Entscheidung?
Nichts stimmte. Auch nicht das Luxusrestaurant, in dem sie die Eheschließung feiern wollten. Das Da Bruno galt als Edelschuppen, Tip von einem kulinarisch bewanderten Freund des Bräutigams. Es hätte ihnen zu denken geben müssen, daß das Klasserestaurant in einer der finstersten Straßen des Bahnhofsvierteis lag. Jedenfalls fanden sie sich plötzlich vor einer bescheidenen kleinen Pizzeria wieder. Hanswolf hatte blind den Tisch reserviert – er hatte nicht gewußt, daß der Edelitaliener gleichen Namens im Westend lag.
Marlene packte dankenswerterweise die Kamera weg, die Mütter hatten den Anstand, nichts zu fragen und nichts zu sagen, und auch Sophie hatte sich klaglos an den Tisch im Hinterzimmer gesetzt, den die italienische Mamma mit ein paar Fliederstengeln dekoriert hatte. Wahrscheinlich würden sie und der Koch sich ihr Leben lang fragen, wie die verrückten Deutschen auf die Idee gekommen waren, ausgerechnet bei ihnen ein Hochzeitsmenü verspeisen zu wollen. Aber das Pizzabrot war gut, die Stimmung irgendwann auch, und als Hanswolf sich mit dem Ketchup aus einer Plastikflasche bekleckerte, der zu den Spaghetti gereicht wurde, hatte sie Tränen gelacht, was gar nicht gut angekommen war bei ihm. Dabei war es die reine Solidarität gewesen.
Aber so war er eben.
Und das alles, ALLES sah man auf Marlenes Bildern. Es war furchterregend. Und dennoch hatte sie geglaubt, durchhalten zu müssen, geglaubt, daß allwöchentliche Kräche und dauerhaft schlechte Laune dazugehörten zu so einer Ehe. Die Scheidung hatte er eingereicht. Weil sie nicht schwanger wurde.
Plötzlich spürte sie ihre Füße. Die Sohlen brannten, und die Kälte kroch durch die dünnen Pantoffeln. Nein, das war keine Liebe gewesen, ebensowenig wichtig wie all die anderen vorher oder nachher. Der einzige, der zählte, war Conrad. Doch im Grunde hatte es immer nur eine Liebe gegeben, immer nur die eine, der sie nahe sein wollte und der sie endlich nahegekommen war.
Das Buch hatte ihr viel Geld eingebracht. Mehr, als nötig war, um das Haus zu kaufen. Um endlich da zu sein.
Sophie ging hinüber ins Kaminzimmer, gefolgt von der
Weitere Kostenlose Bücher