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Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille

Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille

Titel: Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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fühlte sich entblößt. Das hier war ihre Welt. Und nicht die Welt eines leidlich gut gekleideten Kriminalhauptkommissars, der beim Gedanken an einen von ihm eigenhändig erschossenen kleinen Drogendealer Schmerzanfälle kriegte.
    Er kannte das Gefühl, das ihn soeben wieder überwältigte, stellte die Beine ein wenig auseinander, ging leicht in die Knie und faltete die Hände auf dem Rücken. So, wie ein Bulle eben steht, wenn er so tut, als ob er entspannt wäre.
    Das Gefühl. Ein Scheißgefühl. Es sagte: Du hast den falschen Beruf, Itaker.
    Er zog sich in die Kantine zurück, während die anderen weiter drehten, und vertiefte sich in das Buch der Autorin, die er ja demnächst zu sehen bekommen würde. Er vergaß die Sorge um Flo und Caro. Er dachte nicht mehr an den verschwundenen kleinen Jungen. Am Ende des Drehtags vergaß er, Hannah ihr Buch zurückzugeben. Er vergaß sogar, sie anzulächeln, als sie aller Welt – und vor allem dem glatzköpfigen Journalisten – Luftküsse zuwarf, bevor sie davonschwebte.
    Während er nach Hause fuhr, langsamer als sonst, ahnte er, woran das Buch ihn erinnerte. Er sah das Gesicht vor sich, das Gesicht einer Frau. Ein besonderes Gesicht. Ein atemberaubend schönes Gesicht.

12
    Die Katze weckte sie. Das Tier stand auf ihrer Brust, hob und senkte die Vorderpfoten in einem gleichmäßigen, auffordernden Rhythmus und schnurrte laut. »Mein armer Schatz!« Sophie strich der Katze über den seidigen Kopf. Ihr Name. Er war zum Greifen nahe. »Hunger?«
    Getroffen. Das war ein Wort, auf das sie hörte. Die Weiße sprang mit einem Satz hinunter und galoppierte mit trommelnden Pfoten und hoch aufgerichtetem Schweif voraus in die Küche. Sophie rollte sich vom Sofa, ein bißchen steif und entschieden langsamer.
    In der Küche roch es nach angebranntem Gummi. So ekelhaft stank nur verschmurgelter Kaffee. Die Katze saß erwartungsvoll vor ihrem Freßnapf. Leise mit sich schimpfend, holte Sophie eine Dose aus der Speisekammer, zog den Deckel auf und löffelte die Bröckchen in einen sauberen Napf. Während das Tier wie ausgehungert fraß, erneuerte sie das Wasser im Trinknapf. Dann schaltete sie die Kaffeemaschine aus, ließ heißes Wasser in die Glaskanne laufen, in die sich der Kaffee eingebrannt hatte, räumte die Kaffeebecher in die Geschirrspülmaschine und stellte die Zuckerdose zurück ins Regal.
    Die Katze war auf den Tisch vorm Fenster gesprungen und versuchte eine Fliege zu fangen, die immer wieder brummend und surrend gegen die Fensterscheibe prallte. Sophie schaute zu und dann hinaus. Da steht jemand am Gartenzaun, dachte sie eine Schrecksekunde lang. Aber das konnte nicht sein. Sie erwartete niemanden.
    Der Himmel trübte sich ein, die Bäume wiegten sich träge, ein Buntspecht untersuchte den Stamm der Kiefer, die Fliege blieb kreiselnd auf dem Fensterbrett liegen. Es knackte, als die Weiße sie verschlang.
    Die Kirchturmuhr schlug, vier Mal, wobei man den zweiten Schlag nur erahnen konnte. Als ob das Uhrwerk einen Schluckauf hätte. Vier Uhr nachmittags. Wo war die Zeit geblieben?
    Als sie die Treppe hochlief, merkte sie, daß sie die Pantoffeln neben dem Sofa stehengelassen hatte. Ihre Füße waren nackt.
    Die Tür zum Schlafzimmer stand offen. Drinnen war es so dunkel, daß sie das Licht anmachen mußte. Das Zimmer sah aus, als ob der Sturm hindurchgefegt wäre. Auf dem Holzfußboden eine Pfütze, es hatte offenbar reingeregnet. Die Bettdecke zurückgeschlagen, das Kissen nicht aufgeschüttelt. Der Kerzenleuchter neben der Blumenvase auf der Biedermeierkommode umgekippt. Und auf dem Korbstuhl neben der Kommode ein schmutziges weißes T-Shirt.
    Sie ging hinein, stellte den Leuchter wieder auf und strich über das honigfarbene Holz der Kommode. Ihr Blick fiel in den Spiegel. Ein müdes Gesicht. Alte Augen. Ungekämmte Haare. Was war los mit ihr, zum Teufel?
    Ihr Blick ging durch das Zimmer, ihr Reich, ihr Refugium, ihr Heiligtum. Sie sollte sich endlich vernünftige Schuhe anziehen, hinunterlaufen, Eimer und Putzlappen holen. Das Bett machen. Sich waschen, schminken, die Haare kämmen. Den Tag beginnen, bevor er vorüber war. Sie bückte sich, streichelte die Katze, die ihr gefolgt war, hielt inne. Das Geräusch. Sie hatte es schon die ganze Zeit gehört, unterschwellig, sie hatte sich keine Gedanken darüber gemacht. Plötzlich war es ganz nah. Eine Motorsäge. Männerstimmen. Rufe.
    Sie drehte sich um. Ein Schatten vor dem Fenster. Ein Laut, wie von einer verzogenen

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