Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille
in den Untergrund gegangen, bei der RAF gelandet – ich weiß es nicht. Und ich weiß auch nicht, ob sich eine Wiederaufnahme des Falles lohnt. Wir sind dem Steuerzahler Augenmaß schuldig.« Neumann straffte die schmale Gestalt. »Und mal ehrlich, lieber DeLange: Ihr findet doch noch nicht einmal diese Serienmörderin, die seit Jahrzehnten eine Blutspur durchs Land zieht. Also lassen Sie doch solche Kinkerlitzchen.«
»Kinkerlitzchen? Eine spurlos verschwundene junge Frau, mit der Sie befreundet waren?« DeLange, schmuseweich.
Neumann lief rot an. »Drehen Sie mir nicht das Wort im Mund um, Sie wissen genau, was ich meine.«
»Aber Sie haben vorhin die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß das Dorf Alexandra Raabe auf dem Gewissen haben könnte. Oder erinnere ich mich da falsch?«
»Auszuschließen ist gar nichts. Aber ich habe nicht …«
»Und wir klären heute auch weit zurückliegende Straftaten auf, Herr Neumann, nicht zuletzt dank neuer Methoden«, sagte DeLange lächelnd. »Wir sind extrem erfolgreich dabei. Hessen vorn, wie wir gleich am Beispiel von Fast ID demonstrieren werden.«
Aber Neumann lächelte nicht. »Dann sagen Sie mir bitte, ob Sie irgendeinen Sachverhalt kennen, der es rechtfertigt, den Fall Alexandra Raabe wiederaufzunehmen, Herr DeLange.« Neumann ließ den Mann mit Einfluß durchblicken.
»Nicht direkt. Aber …«
»Ja oder nein?«
»Nein.«
Neumann lächelte. »Sie haben Ihre Pflicht und Schuldigkeit getan, Sie haben mich unterrichtet, das ist löblich. Und jetzt sollten wir wieder an unsere Arbeit gehen.«
Punktverlust. Das Gespräch hätte ich beenden sollen, dachte DeLange. »Ich danke Ihnen für Ihre Zeit, Herr Dr. Neumann v. Braun.«
Neumann machte eine entlassende Geste.
»Aber Sie sollten wirklich das Buch von Sophie Winter lesen. Von Angela Maria Sophie Winter, geborene Simon. Genannt Angel.« Diesmal glaubte er, Neumann zusammenzucken zu sehen.
Es war Zeit, der Konferenzraum hatte sich gefüllt, und Fred und Akif warteten schon auf ihn. DeLange ging nach vorn. Er war unkonzentriert während der Begrüßung.
Der entscheidende Punkt war der Zeitfaktor. Wann genau war Sascha verschwunden? Da war etwas gewesen, das ihn beim ersten Lesen der Akte bloß irritiert hatte, mehr nicht. Aber im Lichte der Worte des Großen Politikers und Staatsmannes Dr. Neumann-v. Braun rechtfertigte es eine genauere Betrachtung.
Die Veranstaltung lief wie am Schnürchen und war schnell zu Ende. Die Journalisten faßten sich kurz, und Neumann-v. Braun stellte diesmal keine als Fachvortrag getarnte Frage. Er schien den Raum vorzeitig verlassen zu haben.
Kaum war DeLange zurück im Büro, meldete sich sein Mobiltelefon. Feli? Er hatte in den letzten zwei Stunden nicht an sie gedacht, fast machte ihm das ein schlechtes Gewissen. Doch es war nicht das Krankenhaus. Klara rief an.
»Jo, du sitzt in der Scheiße.«
»Wir nennen es noch immer das Polizeipräsidium, liebe Klara.«
»Die Ministerin hat angerufen. Dr. D. hat ihr die Hölle heiß gemacht.«
Das Imperium schlägt zurück. DeLange grinste in sich hinein.
»Wie du dazu kämst, Akten von unabgeschlossenen Fällen ins Museum stellen zu wollen – ›in diesen unappetitlichen Schauraum menschlicher Niedrigkeiten‹, ich fürchte, Dr. D. meint Rosis Haupt –, also alles sofort retour, subito, mein Lieber. Die Ministerin war stinkig. Wo ist die Akte überhaupt?«
»Liegt bei mir. Ich schicke sie zurück.«
»Schön. Auch wenn ich nicht ganz verstehe, wieso du Dr. D. mit unseren internen Angelegenheiten erfreust.« Klara klang pikiert. »Außerdem dachte ich, die Akte wäre freigegeben worden?«
Komm, Klara, zick nicht.
»Wie geht es überhaupt Feli?« Versöhnlicher. Ja, der Mitleidsfaktor. Funktioniert immer. »Unverändert«, sagte DeLange und dachte an Felis blasses Gesicht.
Nach Hause mit Verdi. »Ein grausames Unglück zwingt mich, ach, zum Leiden.« Großartig. Die Akte Raabe überprüft, die noch in der Küche lag. Die entscheidenden Passagen gefunden. Und sich dann gefragt, warum ihm all das zuerst entgangen war.
6
Der rote Mercedes parkte auf der Straße. Der Sperrmüllhaufen auf dem Bürgersteig war geschrumpft. Der Topf mit dem Lorbeer stand wieder aufrecht neben dem Gartentor. Der Gartenweg war gekehrt, und sogar die Scherben vor dem Fenster neben der Haustür hatte sie entfernt, nur eine neue Scheibe fehlte noch. Wieder fragte sich Bremer, warum die Scherben außen gelegen hatten und nicht innen, gerade so,
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