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Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille

Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille

Titel: Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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Schnelligkeit, mit der Dr. Doom die Rollen wechselte. Eben noch ein schneidiger Neumann-v. Braun, jetzt der gute alte Charlie, mit versagender Stimme und in Trauer gebeugt. Was für eine Inszenierung.
    »Und was, glauben Sie, ist damals geschehen?« DeLange wechselte in den Beichtvater-Modus. Die Masche zog meistens.
    Neumann ließ den Blick elegisch durch den Saal schweifen. »Sie war plötzlich einfach nicht mehr da. Nach dem Überfall. Ich blutete aus der Nase, eine unbeschreibliche Sauerei, Angel war völlig aufgelöst, und Sascha … Wir haben uns gestritten. Sie wollte nicht, daß wir die Polizei holen. Sie wollte nur noch weg. Wir anderen glaubten, dem Druck standhalten und bleiben zu müssen. Und dann haben wir auch nicht mehr lange durchgehalten.« Neumann drehte sich um und fixierte De-Lange mit seinen blassen Augen. Kaum vorstellbar, daß so einer einst Charles, der Hippie, war. Der Mann, der zwei Frauen auf einmal glücklich machen konnte. »Sie sind zu jung, De-Lange, Sie können sich nicht vorstellen, wie die Stimmung damals war. Aufgeheizt. Mißtrauisch.«
    »Man hat Sie und die andere junge Frau ein paar Tage später fortfahren sehen. Aber niemand hat mitgekriegt, wie Alexandra Raabe die Siedlung und Klein-Roda verließ.«
    »Es war mitten in der Nacht. Die Leute schliefen.«
    Bis auf die üblichen Schlaflosen, die es in jedem Dorf gab und denen nie etwas entgeht. »Und das soll niemand gesehen haben, eine junge Frau, allein auf der Landstraße, zu Fuß, mit Gepäck?«
    Neumann zuckte nervös mit dem linken Augenlid. »Sie hat alles stehen- und liegengelassen und ist hinausgerannt. Mehr weiß ich auch nicht.«
    »Vielleicht hat sie das Dorf gar nicht verlassen?«
    Neumann fuhr sich nervös mit der Zunge über die Lippen. »Nein, das glaube ich nicht, sie wollte unter keinen Umständen bleiben.«
    DeLange witterte Angstschweiß. »Also wäre es auch möglich, daß die Dorfbewohner …?«
    »Sicher.« Neumann nickte, ein bißchen zu eifrig. »Alles war möglich. Es herrschte eine Stimmung wie – haben Sie Easy Rider gesehen? Den Film? Aber dafür sind Sie wahrscheinlich auch zu jung.«
    Keine Ablenkungsmanöver, dachte DeLange. »Und unter solchen Umständen haben Sie Alexandra gehen lassen? Aber deren Eltern haben Sie später gesagt …« Er tat, als ob er nachdenken müsse. »›Sascha hielt es nicht mehr aus. Am nächsten Morgen war sie fort.‹ Wann ging sie denn nun wirklich?«
    Neumann wirkte verwirrt. »Tatsächlich? Mag sein. Das ist alles schon so lange her.«
    »Verstehe.« DeLange nickte väterlich. »Haben Sie übrigens das Buch von Sophie Winter gelesen?«
    Neumann schien über den Themenwechsel erleichtert zu sein. »Seh ich so aus, als ob ich Zeit zum Lesen hätte?«
    »Das sollte Sie aber interessieren. In diesem Buch geht es um ein Mädchen namens Sascha, das von Dorfbewohnern zu Tode gehetzt wurde. Halten Sie so etwas für möglich?«
    »Möglich? Ja. Sicher. Im Dorf galt noch das Faustrecht. Das haben wir ja zu spüren bekommen.« Neumann schwamm. Strampelte. Lavierte. »Hören Sie, ich weiß wirklich nicht, was aus Sascha wurde.«
    Jetzt wehrt er sich, dachte DeLange. Jetzt geht der Spaß los.
    »Die Eltern haben sich zwei Monate lang nicht um die Tochter gekümmert und dann hysterisch reagiert. Sie kennen doch das Syndrom: Wenn man eine einfache Erklärung nicht ertragen kann – zum Beispiel die, daß die Tochter die Nase voll hatte von der lieben family –, phantasiert man sich die schlimmsten Schauermärchen zusammen. So, wie heute bei jedem kleinen Schulschwänzer gleich von der russischen Mafia geschwätzt wird, die offenbar nichts Besseres zu tun hat, als blonde blauäugige Kinder zu stehlen und zu verschleppen.«
    Ja. Danke. Er kannte das. Natürlich. Aber …
    »Wenn jede normale Erklärung unerträglich geworden ist, kommen die Phantasien. Wer will sich schon damit abfinden, daß ein Mensch Selbstmord begangen hat? Einen Unfall erlitt? Einfach gegangen ist und nicht wiederkommen will?«
    Lieber glauben wir an finstere Mächte als daran, daß etwas ein ganz banales Ende nimmt. Schon gar nicht ein Leben. De-Lange kannte den Gedanken, aber er tröstete ihn nicht.
    »Sie war wunderbar, wir hatten eine traumhafte Zeit miteinander, aber die Zeit der Blumenkinder war längst vorbei. 1968 war schon nicht mehr 1967, und der Dealer war nicht mehr dein Freund, sondern fixte dich an. Vielleicht ist sie drogenabhängig geworden, irgendwo auf Gomera an einer Überdosis gestorben. Oder

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