Paul Flemming 01 - Dürers Mätresse
Entdeckung schwieg er vorerst, weil er Blohfelds Zynismus nicht mit einem vorschnellen Angebot fördern wollte.
»Klingt interessant«, lenkte Blohfeld ein, wobei ein Klappern verriet, dass er während des Gesprächs weiter auf seine Tastatur einhämmerte. »Das reicht für eine kleine Nachfolgegeschichte, aber danach verschwindet die Story Densdorf in der Versenkung. Jedenfalls solange sich die Unfalltheorie der Polizei halten lässt.«
Die Gedanken in Pauls Kopf schlugen Kapriolen: Was hatte der Reporter da angedeutet? »Wieso?«, hakte er nach. »Hat die Polizei etwa Zweifel daran, dass Densdorf im Suff ausgerutscht und verunglückt ist?«
»Ja«, sagte Blohfeld. »Nach allem, was aus dem Präsidium zu erfahren ist, kommen die Bullen auf der reinen Unfallschiene nicht weiter. Es soll wohl neue Ermittlungen in Richtung Fremdverschulden geben. Aber vorerst nur inoffiziell.«
Paul war elektrisiert: Die Entdeckung auf seinen Fotos würde in diesem Fall umso brisanter sein! »Wenn es kein Unfall war«, überlegte Paul laut, »dann würden auch Densdorfs letzte Worte eine andere Bedeutung bekommen.«
»Fangen Sie schon wieder damit an?«, fauchte Blohfeld durch den Hörer.
»Das ist doch nicht so abwegig«, entgegnete Paul voller Unruhe: »Sollte Densdorf keinem Unfall zum Opfer gefallen sein, könnte der Hinweis auf Dürer dann nicht mehr bedeuten?«
»Ausgerechnet Dürer? Was sollte das schon Großartiges bedeuten?«, schnauzte Blohfeld, wobei ihm eine gewisse Neugierde unschwer anzuhören war. »Dürer hat das bis aufs Feigenblatt nackte Pärchen Adam und Eva gemalt, ein ziemlich gutmütig schauendes Rhinozeros und – natürlich – seinen berühmten Feldhasen. Ansonsten ist er tot. Zu lange, um heute noch als Schlagzeile zu taugen. Jetzt sind Sie an der Reihe: Ich drucke Ihre Bilder vom Glühweinfass mit dem alten Max. Aber was haben Sie noch zu bieten? Wenn Sie weitere Aufträge von mir bekommen wollen, brauche ich Vorschläge.«
Paul besann sich einer seiner Stärken: Er war schon immer gut im Pokern und Taktieren. Wenn er dem Reporter seine Karten jetzt offen auf den Tisch legen würde, wäre das möglicherweise zu früh. Blohfeld würde ihm die Bilder mit den mysteriösen Schatten abkaufen, die Story aber ohne ihn recherchieren. Ein bisschen über sich selbst verwundert, wurde Paul klar, dass er nicht außen vor sein wollte. Densdorfs Ende und vor allem die rätselhaften Begleitumstände hatten ihn inzwischen viel zu sehr ergriffen, als dass er sich jetzt zurückziehen mochte.
Er beschloss, den Reporter vorerst zu vertrösten: »Vertrauen Sie mir, ich werde Sie nicht enttäuschen. Ich bin so dicht an der Sache dran wie kein anderer.« – Und erreichte damit unerwartet genau das, was er haben wollte: »Wie ich ja schon einmal gesagt habe: Ihre Hartnäckigkeit ist bewundernswert«, sagte Blohfeld nun deutlich milder gestimmt.
»Ich werde Ihnen einen Folgeauftrag überlassen – einen sehr verantwortungsvollen.«
Paul interpretierte das Wort »verantwortungsvoll« mit »heikel« und landete damit einen Treffer. Denn was Blohfeld ihm als Nächstes auftischte, war starker Tobak. Zunächst ungläubig, dann erstaunt hörte Paul zu, was ihm der andere über eine kaum bekannte Eigenschaft von Herzrhythmus stabilisierenden Geräten berichtete, wie sie auch am sterbenden Densdorf eingesetzt worden waren: mobile Defibrillatoren.
Natürlich waren ihm die letzten Szenen von Densdorfs Todeskampf sofort wieder präsent, als er Blohfeld zuhörte: »Ein im Defibrillator integriertes Aufzeichnungsgerät, das nach einem ähnlichen Prinzip wie eine so genannte Black Box in Flugzeugen arbeitet, hält nicht nur alle angewendeten medizinischen Maßnahmen fest, sondern nimmt zur späteren Analyse der Ersthilfe auch Sprachsequenzen im Umkreis von bis zu drei Metern auf.«
Paul sah den sterbenden Densdorf vor sich, sah, wie er mühsam seine letzten Worte sprach. Der Polizist, der dicht bei ihm gestanden hatte, hatte in der Aufregung sicher nur einen Bruchteil dieser Worte verstehen können, nicht mehr als den Namen Dürers. Paul selbst hatte durch sein Teleobjektiv immerhin erkannt, dass Densdorf mindestens noch eine halbe Minute lang versucht hatte Silben zu bilden, bevor er seine Lippen für immer geschlossen hatte.
Vielleicht ließe sich durch die Auswertung des Defibrillators mehr über die Umstände von Densdorfs Tod erfahren? Wusste die Polizei überhaupt von dem Aufzeichnungsmodus dieses Geräts?
Blohfeld
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