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Paul Flemming 01 - Dürers Mätresse

Titel: Paul Flemming 01 - Dürers Mätresse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Beinssen
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hin gemeldet hatte. Er durchschritt den Flur, ohne auf eine weitere Überraschung gefasst zu sein.
    »Grüß Gott – ach, Sie sind das?«
    »Hallo«, presste er heraus. Seine Kehle schnürte sich zusammen. »Sag mir bitte nicht, dass du dich von mir fotografieren lassen willst.«
    »Doch«, kam es selbstsicher und eine Spur zu arrogant zurück. »Diese Reporter haben mich gefragt, ob ich’s machen würde. Für den Playboy und so. Was bilden sich diese Blödmänner eigentlich ein? Meine Mutter hat gesagt: ›Das traust du dich sowieso nicht!‹ Ich habe ihr gesagt: ›Mal sehen, wer von uns beiden größere Schwierigkeiten damit hat!‹ – Also?«
    Paul musterte sein Gegenüber. »Du bist dir über die Folgen im Klaren?«
    »Was genau meinen Sie?«
    »Ein nacktes Nürnberger Christkind dürfte – um es mal ganz sachte auszudrücken – für einen nicht unbeträchtlichen Wirbel sorgen.«

4
     
    Es war bereits nach zehn Uhr vormittags. Paul lag auf dem Sofa und las Paul Austers Stadt aus Glas: Ein Mann, der sich im Fluss der Ereignisse verliert und schließlich vollends auflöst – eine gespenstische Vorstellung, zumal Paul ahnte, dass es ihm ähnlich ergehen könnte, selbst wenn er alles andere als fatalistisch veranlagt war.
    Paul las – eben, um solche Folgeschäden der Belletristiklektüre auf sein Befinden zu vermeiden – abwechselnd: Er hatte stets zwei Bücher griffbereit. Eines für jede Stimmung. Seine heutige Alternative, Philipp Kerrs Game Over, war allerdings genauso wenig geeignet, seine Gemütslage zu verbessern: Eine Story ohne jede Chance für die Protagonisten, am Ende heil davonzukommen, konnte ihm keinen inneren Halt geben.
    Er drehte sich zur Seite, fing einen der raren Strahlen der Wintersonne auf, der sich durch das Oberlicht gemogelt hatte. In der Fototasche zu seinen Füßen steckten die Klarsichthüllen mit allen Negativen vom Christkindlesmarkt und sämtliche Abzüge, die er bisher davon angefertigt hatte. Lediglich die Tatortfotos, die er später auf der Liebesinsel geschossen hatte, lagen noch in der Dunkelkammer. Paul hielt sie nicht für besonders wichtig, da neben ihm ja auch unzählige andere Kollegen und Privatleute Aufnahmen gemacht hatten. Eigentlich hatte er an diesem Morgen wie geplant mit der Tasche voller Fotos auf dem Weg zur Polizei sein wollen. Das wäre nicht nur seine Pflicht gewesen, sondern hätte ihn auch von dem Druck befreit, der seit seiner Entdeckung in der Dunkelkammer auf ihm lastete. Aber Paul wäre nicht er selbst, wenn er das Für und Wider seines nächsten Schrittes nicht noch einmal gründlich abwägen würde. Er fragte sich, ob es irgendeinen Journalisten auf dieser Welt gab, der eine solche Entdeckung nicht in erster Linie für seine Zeitung nutzen und erst anschließend damit zur Polizei gehen würde. Er dachte an das berühmte Barschel-Foto: der Tote in der Badewanne. Ein freier Fotograf war letztlich nichts anderes als ein Journalist. Paul redete sich ein, dass es bei seiner Überlegung nicht in erster Linie ums Geld, sondern um journalistische Grundwerte ging. Schließlich griff er zum Telefon. Er musste nicht lange warten, bis er die sonore Stimme von Victor Blohfeld hörte: »Ja?«
    »Flemming hier.«
    »Ah«, kam es überschwänglich zurück. »Welche Ehre! Darf ich Sie einmal ganz unverfänglich etwas fragen? Wollen Sie richtig Geld verdienen, oder wollen Sie lieber Ihren Arsch schonen und den guten alten Zeiten nachtrauern, in denen einem die Aufträge nachgeschmissen wurden? Ich hatte Ihnen den Tipp gegeben, sich ein bisschen auf dem Christkindlesmarkt umzusehen, und seitdem nichts mehr von Ihnen gehört!«
    Donnerwetter! Was für eine Begrüßung! Paul schob die Bücher endgültig beiseite und setzte sich auf. Hastig straffte er den Gürtel seines Bademantels. »Die Häme ist unnötig. Ich habe Ihre Anregung sehr wohl beherzigt. Ich hatte mich nur nicht sofort gemeldet, weil ich die Eindrücke erst einmal sacken lassen wollte.«
    »Sacken lassen. Soso.«
    Paul registrierte den Sarkasmus in Blohfelds Stimme sehr wohl und wunderte sich über die schroffe Art des Reporters, den er eigentlich als durchaus feingeistigen Menschen einschätzte. Brauchte er diese raue Schale, um im täglichen Hauen und Stechen des Boulevardjournalismus bestehen zu können?
    In knappen Worten berichtete Paul von dem Gespräch mit Glühweinverkäufer Max und bot Fotos von dem Fass an, aus dem sich Densdorf kurz vor seinem Tod bedient hatte. Über seine eigentliche

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