Paul Flemming 01 - Dürers Mätresse
»Verdammt, Mann, kapierst du nicht? Es geht nicht um dein Geld!«
Paul röchelte. Es gelang ihm, den Kopf ein kleines Stück nach hinten zu drehen, und er sah in die verkrampften Gesichtszüge eines jungen Mannes mit krausem Haar und ungepflegtem Jesusbart: Es war der gleiche Mann, dem er zwei Tage zuvor mit Blohfeld hinterhergejagt war. »Was wollen Sie von mir?«
»Wenn du dich wehrst, ramm’ ich dir ein Messer in deinen verschissenen Bonzenarsch!«
Paul würde es nicht wagen, einen Ausbruch zu versuchen. In seinem Kopf schwirrten die unterschiedlichsten Gedanken. »Sie können meine Uhr haben. Ist ein echtes Liebhaberstück.«
»Den Dreck kannst du behalten.« Der Mann ließ ein Klappmesser aufschnappen und erhöhte den Druck auf Pauls Kehle.
»Ich habe nichts, überhaupt nichts zu verlieren! Geht das in deinen verblödeten Kapitalistenschädel? Wenn du mitspielst, lass ich dich in Ruhe. Wenn nicht, bekommst du mein Messer rein. Und, verflucht, ich hätte verdammt großen Bock drauf!«
»Regen Sie …«, Paul musste husten, »regen Sie sich ab.« Er fasste an seinen Hals, spürte aber im selben Moment, wie sich die Spitze des Messers durch den Stoff seines Mantels und durch den Pullover bohrte. »Was wollen Sie?«
»Verschissener Drecksack! Du vögelst mit deinen Fotohuren und verdienst ein Schweinegeld dabei!« Der Mann lachte rau. »Ich habe mehr drauf als du. Hast du studiert? Nein? Ich schon! Aber du zockst die Weiber ab. Und die Kohle!«
Paul fühlte ein warmes Rinnsal seinen Rücken entlanglaufen. Das Messer drang langsam und schmerzhaft ein Stückchen in sein Fleisch ein. »Was? Was wollen Sie von mir?«
»Bist du so blöd oder tust du nur so? Die Negative.«
Im selben Moment musste Paul die Augen zusammenkneifen, weil ihn ein greller Lichtschein traf. Die Tür der Kaiserburg öffnete sich, und eine Clique angetrunkener Jugendlicher kam auf sie zu.
Der Druck auf seinen Hals ließ sofort nach. Paul wandte sich um, aber da war es schon zu spät. Sein Angreifer floh überhastet.
Er blieb zurück. Überfallen, verstört, verletzt. Das alles überstieg langsam seine Kräfte.
Die Einbrüche in sein Loft hatten ihn mehr getroffen, als er sich eingestehen wollte. Es war ein sehr intimes Gefühl der Kränkung gewesen, seine eigenen vier Wände von fremder Hand durchwühlt zu sehen. Aber jetzt – ein Überfall auf offener Straße! Paul hatte das Gefühl des Ausgeliefertseins nie zuvor so intensiv empfunden. Er fühlte sich erbärmlich schwach.
Seltsamerweise musste er an Hannah denken. An die Frische ihrer Jugend. Ihm wurde klar, wie alt er selbst geworden war. Der Angriff hatte ihm die eigene Verletzlichkeit vor Augen geführt – die Schicksale von Densdorf und dem des Schreinermeisters waren plötzlich gar nicht mehr so weit entfernt von seinem eigenen. Wie schnell konnte man plötzlich zum Opfer werden!
Sein Angreifer hatte Unrecht mit seinen Unterstellungen. Paul lebte seit Ewigkeiten allein. Sein Liebesleben war Mittelmaß. Sein Einkommen sogar unteres Mittelmaß. Er schloss die Wohnungstür auf, passierte die traurigen Reste der nackten Mokkabraunen, zog sich aus und legte sich auf sein Sofa. Er schloss die Augen, und obwohl sein Loft gut beheizt war, umfing ihn eine eisige Kälte.
17
Man sagt, dass der Schlaf seelische Wunden zu heilen hilft. Er hatte wie ein Toter geschlafen, fast neun Stunden lang. Doch bei ihm war nichts geheilt. Er musste sich zusammenreißen, um seine Gefühle nicht allzu offensichtlich nach außen zu tragen. Der Albtraum der letzten Nacht war allgegenwärtig, als er durch sein Revier schlich, halbherzig in Peggy’s Salon winkte und sich auf die Suche nach dem Kontaktbeamten machte, der um diese Uhrzeit normalerweise vorm Goldenen Ritter herumlungerte, um Jan-Patrick beim Falschparken zu erwischen. Er wollte den nächtlichen Überfall bei ihm melden, weil er nicht die geringste Lust hatte, es noch einmal mit den blasierten Kriminalern zu tun zu bekommen, die den Einbruch in seine Wohnung bearbeitet hatten. Und auch Katinka wollte er mit diesem neuesten Zwischenfall nicht konfrontieren; jedenfalls vorerst nicht, denn er konnte nicht abschätzen, wie sie reagieren würde.
Er wollte diese lästige und wahrscheinlich völlig nutzlose Angelegenheit bald hinter sich bringen und dann schnell wieder nach Hause gehen. Die – ziemlich kleine – Stichwunde in seinem Rücken schmerzte, doch das war nebensächlich für ihn, weil er darauf brannte, den Fall Densdorf
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