Paul Flemming 01 - Dürers Mätresse
Filme und ihren Inhalt auf und holte die Fototasche aus ihrem Versteck.
»Alle Welt ist hinter diesen Fotos her«, berichtete er auf dem Weg ins Labor. »Schon erstaunlich, dass sie für so viele verschiedene Menschen von dermaßen großer Bedeutung zu sein scheinen. Sogar eingebrochen haben sie deswegen bei mir.«
»Was?«, fragte Lena mit Unglauben in der Stimme. »Das ist ja furchtbar. Bist du sicher, dass es wegen der Bilder passiert ist?«
»Ja«, Paul nickte. »Es ist zwar auch einiges andere gestohlen worden –«
»Was denn?«, unterbrach ihn Lena.
»Ein Weitwinkelobjektiv …«
»Etwa eines von deinen alten Analogen?«, fragte sie besorgt.
Paul nickte.
»Oh, das ist schlimm. So eines ist heutzutage kaum noch aufzutreiben.«
»Allerdings«, sagte Paul verschnupft, »außerdem kann der Dieb den ideellen Wert sicher nicht einschätzen.«
Minuten später saßen sie auf unbequemen dreibeinigen Hockern vor einer Milchglasscheibe, die von hinten mit Neonröhren beleuchtet wurde. Paul klemmte die Negativstreifen darauf, schwenkte ein bewegliches Vergrößerungsglas über die Bilder und vertiefte sich in das Betrachten der Details.
»Ich hätte die Negative längst bei der Staatsanwaltschaft abgeben müssen. Aber mich kribbelt es in den Fingern, mehr aus ihnen herauszukitzeln.«
»Was siehst du denn darauf?«, fragte Lena und ihre Stimme verriet, dass auch sie in erwartungsvoller Spannung war. »Ich erkenne überhaupt nichts. Schwarz ist weiß, Tag ist Nacht, auf Negativen ist alles vertauscht.«
»Nicht ganz«, sagte Paul, konzentriert bei der Sache. »Das ist eine Frage der Vorstellungskraft. Du musst nur lange genug hinsehen. Das Gehirn passt sich an.«
»Meines nicht«, sagte Lena und rieb sich die Augen. »Mal anders gefragt: Was erwartest du denn zu sehen?«
Paul fuhr mit dem Vergrößerungsglas langsam über den zweiten Negativstreifen. »Das, wonach der Einbrecher gesucht hat.«
»Du gehst also ernsthaft davon aus, dass auf deinen Bildern eine belastende Situation festgehalten wurde?«
»Ja, und zwar eine, auf die sogar unser Bürgermeister scharf ist. Und eine, die irre Obdachlose so wild macht, dass sie mich mitten in der Nacht überfallen. Irgendein Motiv für all den Unsinn muss sich in diesen Filmen finden. Ich muss nur lange genug danach suchen.« Er fuhr die Lupe auf den nächsten Streifen herunter.
»Vermutest du eine kompromittierende Situation?«
»Allerdings«, sagte Paul, musste sich aber eingestehen, dass es nicht sehr wahrscheinlich war, dass er ein eindeutiges Foto finden würde. Was er vor drei Tagen herausvergrößert hatte, waren Aufnahmen von dem Phantom und Densdorf kurz vor einer tätlichen Auseinandersetzung gewesen sowie Fotos, auf denen das Phantom an der Brückenbrüstung gegenüber der Liebesinsel zu sehen war. Was ihm fehlte, waren Fotos, die bewiesen, dass Densdorf und das Phantom ein Paar gewesen waren.
»Schau mal hier!« Er schob das Vergrößerungsglas ganz dicht über das Negativ Nummer dreiunddreißig des dritten Films. Es bedurfte einiger Übung, aus den falschfarbenen Konturen irgendeinen Sinn herauszulesen. »Das ist der Stand vom alten Max. Aus der Vogelperspektive sieht man fast nichts, weil die rot-weiße Markise alles verdeckt. Aber das Glühweinfass hinter dem Stand ist deutlich zu erkennen.«
Lena rückte näher heran. Sie spähte durch die Lupe. »Für mich hat das alles einen Rotstich. Das irritiert.«
»Lass dich davon nicht ablenken.« Er legte einen Arm um ihre Schulter, als er erklärte: »Das Fass, an dem ihn Max kurz vor seinem Tod noch gesehen hat, ist einwandfrei identifizierbar. Den dritten Film habe ich ungefähr zehn Minuten vor dem Prolog des Christkinds verschossen.«
»Das ist interessant«, sagte Lena leise.
»Siehst du den kleineren Schatten neben den Umrissen Densdorfs?« Paul zog den nächsten Streifen auf. »Hier ist er noch einmal zu sehen und hier wieder. Ich habe diesen Schatten auf den Namen ›Phantom‹ getauft. Er taucht auf den anderen Negativen noch öfter auf. Aber das hier ist interessant.« Ein Bild, das leider verschwommen war, zeigte die beiden sehr nahe beieinander stehend in einer vertraulichen Körperhaltung. Ein weiteres Bild ließ beide Schatten noch enger zusammenrücken.
Paul nahm sich einen Streifen nach dem anderen vor. Aber er konnte zunächst kein weiteres Foto von Max’ Glühweinstand finden. Minute um Minute verstrich, und Lena saß wortlos an seiner Seite.
Nachdem sie das Christkind aus allen
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