Paul Flemming 01 - Dürers Mätresse
endlich aufzuklären, selbst wenn er inzwischen kaum mehr an seine eigenen Pläne glauben mochte.
Der Kontaktbeamte war nicht vor, sondern erstaunlicherweise im Goldenen Ritter. Paul fragte sich, ob ihn die Kälte ins warme Innere getrieben hatte oder ob er dem Wirt mit einem Strafzettel hinterhergelaufen war. Um in das Restaurant zu gelangen, musste sich Paul an Jan-Patricks Lieferwagen vorbeizwängen, der im absoluten Halteverbot auf dem Bürgersteig stand. Erstaunlicherweise schrien sich Polizist und Gastwirt heute nicht an, sondern saßen einträchtig über eine Karte gebeugt nebeneinander.
»Zum Rucola-Löwenzahn-Salat mit Kaninchen und Fenchelmus empfehle ich einen frech-frischen Kir Framboise«, hörte er Jan-Patrick mit wie üblich gespitzten Lippen formulieren.
»Was ist mit der Nachspeise? Meine Frau besteht auf was Süßem!«, lauschte Paul den drängend neugierigen Worten des Polizisten und konnte kaum glauben, was für eine unvorstellbare Szene er da gerade verfolgte. Wollte dieser spindeldürre Hänfling ausgerechnet bei seinem Erzfeind ein Festessen arrangieren?
»Ananas-Carpaccio mit Honigeis-Nougatspitz und kandiertem Koriander«, sagte Jan-Patrick beleidigt, weil er den Hauptgang überspringen musste. Im selben Moment bemerkte er Paul in der Tür. Er winkte ihn heran, und als der Polizist eiligst aufstehen wollte, presste Jan-Patrick ihn mit sanftem Druck zurück in seinen Stuhl. »Ein Familienfest«, sagte er beiläufig und schlug die Karte auf dem Tisch dezent zu, »unser lieber Freund und Helfer wird sich verloben.«
Noch so ein Ding, dachte Paul. Dieser blasse Unsympath hatte eine Frau gefunden? Halb verwundert und halb belustigt setzte er sich dazu. Jan-Patrick schenkte ihm ein Achtel Wein ein.
»Ein fruchtiger Franke, du schmeckst grünes Gras und einen Schuss Zitrone, ein Verkünder des Frühlings«, schwärmte Jan-Patrick, als er eingoss. Paul, der es längst aufgeben hatte, bei Jan-Patrick irgendetwas abzulehnen, registrierte mit gewisser Anerkennung, dass der Polizist nur ein Glas Wasser vor sich stehen hatte. Der Wirt stellte den Bocksbeutel vorsichtig zur Seite: »Was führt dich zu mir?«, fragte er.
Paul leerte das Glas fast in einem Zug und wandte sich direkt an den Polizisten: »Sind Sie im Dienst?«
Dessen Oberkörper straffte sich prompt. »Selbstverständlich«, sagte er und tippte demonstrativ auf das Wasserglas. »Ich trinke nie im Dienst.«
»Ich möchte eine Anzeige erstatten«, sagte Paul.
»Da sind Sie bei mir richtig«, sagte der Beamte und zückte sekundenschnell Block und Stift. »Was ist Ihnen entwendet worden?«, fragte er übereifrig.
Paul fragte sich, ob er nicht doch besser um die Ecke zur Rathauswache gehen sollte. Aber er wollte die Sache jetzt hinter sich bringen. »Ein Überfall, gestern Abend im Burgviertel.« Er berichtete dem Polizisten detailliert von den Vorkommnissen, ließ allerdings die Sache mit den Negativen aus. Er registrierte erstaunt, wie ausführlich sich der Kontaktbeamte die Personenschreibung des Täters notierte.
»Wenn ich mich nicht täusche, können wir die vorbildliche bayerische Kriminalstatistik in Ihrem Fall um ein weiteres aufgeklärtes Verbrechen ergänzen«, sagte der Polizist mit vor Stolz geschwellter Brust, nachdem er seine Notizen mehrere Minuten lang ausführlich begutachtet und dabei mehrere Male in seinem Block hin- und hergeblättert hatte.
»Kennen Sie den Mann?«, fragte Paul überrascht.
»Ich selbst kenne ihn weniger. Aber Pfarrer Fink dürfte ihn umso besser kennen. Der Mann wohnt bei ihm. Oder besser: Er haust – in der Kirche. Ein Obdachloser, der unterm Dach von St. Sebald Quartier bezogen hat.« Der Polizist erhob sich. »Im Vertrauen gesprochen: Dieses asoziale Element war mir schon lange ein Dorn im Auge. Ich bin froh, endlich etwas gegen ihn in der Hand zu haben.«
Pfarrer Fink. Das war das Stichwort. Paul kribbelte es in den Fingern, die Sache selbst zu erledigen. Zusammen mit Fink würde er den Hausierer aufspüren und … und – Fink würde sich wohl kaum an einer Lynchaktion beteiligen, auch wenn Paul jetzt genau danach der Sinn stand. Die Schnittverletzung an seinem Rücken schmerzte noch immer, und allein schon die Erniedrigung der Attacke aus dem Hinterhalt hätte es gerechtfertigt, sich den Kerl vorzuknöpfen.
Andererseits war das eindeutig eine Sache der Polizei. Und der Stadtteilbeamte machte den Eindruck, als würde er sich freuen, dass er endlich einmal einen richtigen Fall bearbeiten
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