Paul Flemming 01 - Dürers Mätresse
erdenklichen Perspektiven bewundert hatten, stieß Paul endlich wieder auf eine Aufnahme, die Max’ Stand zumindest tangierte. Allerdings nicht im Zoombereich und daher kaum erkennbar. »Da ist das Fass wieder zu sehen. Und da ist wieder der große Schatten. Er scheint sich über irgendetwas zu beugen – oder über jemanden.« Paul justierte das Vergrößerungsglas neu. »Da ist auch wieder der kleinere Schatten, das Phantom! So eng, wie die beiden beieinanderstehen, würde ich darauf tippen, dass sie sich küssen.«
Lena drängte ihn beiseite. »Ja, wirklich. Vielleicht haben sie sogar Sex miteinander. – Findest du die Vorstellung nicht prickelnd, es zu tun, wenn du weißt, dass Tausende ganz in deiner Nähe sind?« Sie beugte sich noch tiefer über die Negativstreifen.
»Unverkennbar, das eine ist Densdorf! Aber wer ist die Figur im dunklen Mantel?«
»Die Mörderin.« Paul fuhr sich mit der Hand durch die Haare und atmete tief durch. »Aber leider kann ich mich abmühen, soviel ich will – mein Phantom bleibt ein vager Umriss, ein konturenloses Abbild.«
»So darfst du nicht denken«, sagte Lena und strich ihm sanft über die Schulter. »Mach Schluss für heute. Morgen siehst du vielleicht schon mehr.«
Paul schob das Vergrößerungsglas beiseite. Im schummrigen roten Laborlicht sah er Lena unsicher an. Er fühlte sich nicht wohl in seiner Haut und war froh, seine alt vertraute Freundin in seiner Nähe zu wissen.
»Du hast Recht«, sagte er leise zu Lena. »Machen wir für heute Schluss.«
Sie lehnte ihren Kopf an seine Schulter. »Und dann gibst du die Fotos endlich ab und hältst dich brav raus aus dieser scheußlichen Angelegenheit.«
»Ja, es wird Zeit, diese Bilder endlich loszuwerden«, sagte Paul nachdenklich.
Lena schien zu bemerken, dass ihn die Sache sehr belastete, denn sie sprach schnell ein anderes Thema an: »Was machst du eigentlich in acht Tagen?«, fragte sie leise.
Paul verstand den Wink nicht sofort – zu weit weg war er in seinen Gedanken vom Alltagsgeschehen. Doch dann begriff er und freute sich über Lenas nette Nachfrage. »Um ehrlich zu sein: keine Ahnung«, sagte er. »Wie ich Weihnachten verbringen werde, habe ich mir bisher nicht überlegt – vor allem noch nicht, mit wem.« Er schenkte ihr sein schönstes Clooney-Lächeln.
18
Der Abend, der mit neuen Schneemassen das Oberlicht zusätzlich verdunkelte, stellte Paul vor eine Reihe unerfreulicher Fragen: Befand er sich wegen der Fotos und seiner Nachforschungen weiterhin in Gefahr? Sollte er womöglich Personenschutz anfordern? Er tat diesen Gedanken schnell ab, weil die Polizei wohl weder seinen Bildern noch seiner Sorge um sich selbst allzu große Bedeutung beimessen würde.
Denn was hatte er denn – nüchtern betrachtet – in der Hand? Ein paar verschwommene, dunkle Fotos, in die man viel oder eben wenig hineininterpretieren konnte. Dann sein täglich wechselnder Verdacht gegen diverse Frauen, bloß weil ein paar Gewebespuren darauf hinwiesen, dass beide Opfer irgendwann einmal Kontakt zu einer großen Unbekannten gehabt hatten. Und am Schluss die Einbrüche und der Überfall auf ihn, Ereignisse, die ebenfalls mangels Beweisen nicht mit den Mordfällen in einen schlüssigen Zusammenhang zu bringen waren. Im Grunde hatte er also nichts Greifbares, und es war aus seiner Sicht nur eine Frage der Zeit, bis Katinka dem Rat ihres Chefs folgen und den Fall ruhen lassen würde.
Die zweite Frage betraf den Mann, der ihn überfallen hatte und in seine Wohnung eingebrochen war. Warum war der Mann hinter den Negativen her und was hatte er eigentlich mit der ganzen Sache zu tun? Paul war sich fast sicher, dass es sich um jemanden handelte, der vorgeschickt wurde. Ein Auftragsdieb und bezahlter Schläger – und möglicherweise eine direkte Spur zum Mörder?
War es dann wirklich schlau gewesen, ihn dem dünnhäutigen Kontaktbeamten zu überlassen oder sollte er ihn zusammen mit Pfarrer Fink nicht doch besser selbst stellen? Genug Mumm besaß der Pfarrer ja. Das hatte er in der Vergangenheit schon bei verschiedenen Gelegenheiten bewiesen.
Die dritte Frage kreiste um sein Versteckspiel mit dem Bürgermeister beziehungsweise dessen Adlatus. Was sollte er ihm wegen der Christkindlesmarktfotos sagen? Da steckte er in einer echten Zwickmühle. Denn – natürlich – lockte ihn das Geld, das ihm mit dem lukrativen Dürerhaus-Auftrag in Aussicht gestellt worden war. Wenn es aber wirklich Frau Frommhold gewesen war, deren
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