Paul Flemming 01 - Dürers Mätresse
hinter sich: Er rief Blohfeld an. Doch der wollte sich am Telefon nicht aufhalten und vereinbarte stattdessen ein Treffen für den nächsten Tag. Auch recht, dachte sich Paul.
Er wusste, dass er Pfarrer Hannes Fink zu dieser fortgeschrittenen Stunde im Pfarrhaus antreffen würde, einem liebevoll hergerichteten Anwesen mit großzügigem Innenhof. Tatsächlich saß Hannes in seinem Arbeitszimmer, aus dessen Fenster einladend gelbes Licht schien und hinter dem sich die charakteristische Silhouette des Geistlichen mit Pferdeschwanz abzeichnete.
Die Einrichtung des verwinkelten Hauses war altertümlich, eine Mischung aus Antiquitätenladen und Sperrmüllsammlung. Er brauchte dem Pfarrer keine langen Erklärungen zu liefern. Paul begleitete Fink über knarrende Dielen ins Arbeitszimmer, einem quadratischen Raum, dessen drei fensterlose Wände bis zur Decke mit Büchern voll gestellt waren. Auch auf dem Boden lagen Bücher. Das winzige Stück Wand, das nicht von einem Bücherregal in Anspruch genommen wurde, musste als notdürftige Galerie herhalten. Vier Bilder hingen eng übereinander. Paul betrachtete sie flüchtig und deutete auf die verblasste Kopie einer Bleistiftzeichnung, die das Profil eines Mannes mit Doppelkinn und Knick in der Nase zeigte.
»Pirckheimer«, sagte Fink, der Pauls Interesse bemerkt hatte, während er beiden dunkles Bier eingoss. »Das Porträt stammt von 1503. Eigentlich eine eher durchschnittliche Arbeit Dürers.«
Er lächelte süffisant. »Aber eine mit pikanter Zugabe.«
Paul trat einen Schritt näher heran, konnte aber nichts Ungewöhnliches an der schlichten Skizze erkennen.
»Ganz am Rand«, erklärte Fink, »der klein geschriebene Satz.«
Paul erahnte einige winzige Hieroglyphen, die für ihn keinen Sinn ergaben.
»Das ist Altgriechisch«, erläuterte Fink und reichte ihm den gut eingeschenkten Tonkrug. »Übersetzt steht da: ›Mit erigiertem Penis in den Steiß‹.«
In Pauls Gesicht stand Erstaunen. »Dürer verblüfft mich in letzter Zeit immer mehr.«
Fink neigte den Kopf. »Ja, bezeichnend ist auch, dass dieser Satz von keinem Kunstführer übersetzt wird. Man will dem Ansehen Dürers nicht schaden – was durchaus für seine Urheberschaft spricht. Andererseits: Der gute Albrecht konnte kein Altgriechisch. Also hat es wohl der beschenkte Willibald Pirckheimer selbst an den Rand gekritzelt. Aber, wer weiß …«
»Erstaunlich«, sagte Paul und trank nachdenklich einen Schluck Bier. »Ich habe mich viel zu wenig mit Dürers Privatleben beschäftigt – und wohl einiges verpasst.«
Fink lachte, als er sich den Schaum vom Mund wischte. »Ja, die alten Knaben sind immer für eine Überraschung gut. Ich halte den Spruch auf dem Bild für eine Liebeserklärung, wenn auch für eine versteckte.«
»Liebeserklärung? Wer erklärt da wem seine Liebe?«
»Pirckheimer seinem Freund Dürer.«
»Jetzt fängst du auch damit an«, stöhnte Paul und dachte an Hannahs Äußerungen über Dürer.
»Dürer war ein Weltstar wie Warhol, daneben Pirckheimer, der Vorzeige-Humanist und einflussreiche Ratsherr – was zwischen den beiden ablief, ging weit über eine Männerfreundschaft hinaus.«
Paul betrachtete eingehend die Zeichnung Pirckheimers. Ein weises Altherrengesicht, hinter dem ungezügelt die sexuelle Phantasie brodelte. Ja, das anzügliche Lächeln, das ihm Dürer verpasst hatte, sprach für diese These. Aber trotzdem …
»Beide waren auf Frauen fixiert, ganz klar. Po, Brüste und barockes Bodybuilding haben Dürer gefesselt. Und seine anatomisch detaillierten Werke waren zu seiner Zeit Provokation pur. Sein Meisterstich Vier Hexen muss auf die Leute die Wirkung eines Pornos gehabt haben. Seine eigene Frau hat er ›alte Mandelkrähe‹ genannt. Es gibt Briefe, die außerehelichen Sex eindeutig belegen«, ereiferte sich der Pfarrer.
»Auch die homosexuellen Ausflüge?«, wollte Paul wissen.
»Ja, auch die.« Fink dirigierte ihn aus dem Raum. »Sex war Thema Nummer eins für die beiden. Als der Meister auf seiner zweiten Italienreise war, hat ihm Pirckheimer schriftlich angedroht, seine Agnes zu beschlafen, wenn er nicht schleunigst zurückkäme. Dürer hat geantwortet, dass Pirckheimer ihm mitteilen sollte, wie es war.« Der Pfarrer grinste in sich hinein. »Es gibt sogar einen Radierstift, dessen Schaft mit einer erotischen Gravur versehen ist. Eines von diesen Fundstücken, die sie bei der Restaurierung des Dürerhauses gefunden haben.«
»Ach, da gab’s tatsächlich
Weitere Kostenlose Bücher