Paul Flemming 01 - Dürers Mätresse
getrimmten Parteifunktionär – im innigen Plausch mit einer knapp berockten Kellnerin. Die provisorischen Glasvitrinen, in denen einige Dürer-Utensilien ausgestellt waren, reflektierten seinen Blitz und warfen störendes Streulicht zurück.
Paul trat an eine der Vitrinen heran. Auf einem schwarzen Sockel ruhte die matt angelaufene Mine eines Federhalters. Er klopfte an das Glas, welches das nach Jahrhunderten wiederentdeckte Unikum vor unberechtigtem Zugriff schützte. Es klang satt und sicher. Dürer-Liebhaber, erinnerte er sich an Pfarrer Finks Worte, würden ein kleines Vermögen für dieses Stück Blech zahlen. Und ein großes für eines der ausgestellten Dürer-Originale …
23
Die Stadt ruhte erhaben unter einer samtenen Schneedecke, die täglich dicker und flauschiger wurde. Es war das Bild einer Kitschpostkarte, das sich Paul auf seinem Weg durch die Gassen des Burgviertels bot. Die vereinzelt durch die Wolkendecke brechende Wintersonne gab der Zuckergusslandschaft eine zusätzliche romantische Note und ließ sogar die wenig schönen Fassaden der Fünfzigerjahrebauten, die die historische Kulisse durchbrachen, in mildem Licht erscheinen.
Wie war Densdorf wirklich gewesen?, fragte sich Paul. Ein Unschuldslamm sicher nicht. Das war ihm klar, schon bevor er die vielen neuen Details über die diversen Frauengeschichten gehört hatte. Aber immerhin hatte Densdorf über Jahre einen verantwortungsvollen Posten bekleidet. Und er hatte seine Sache gut gemacht, zumindest war es so immer in den Zeitungen zu lesen gewesen. Der Tourismus boomte unter Densdorfs strengem Regiment, mit dem er die Hotel- und Gaststättenmaschinerie der Stadt am Laufen gehalten hatte. Er hatte seine Werbestrategen um die ganze Welt geschickt und Flugreisen zum Christkindlesmarkt, zur Spielwarenmesse und anderen Großevents organisiert.
Selbst Dürer hätte wohl kaum ein solches Comeback feiern können ohne den unermüdlichen Dauereinsatz des Tourismusamtsleiters. Densdorf hatte alle namhaften Museen besucht, um Dürer-Originale für die Sonderausstellung nach Nürnberg zu holen. Vielleicht waren die Dürer-Bücher, die Paul in Densdorfs Arbeitszimmer gesehen hatte, doch nur der Ausdruck von dessen beruflichem Interesse und Ehrgeiz.
Die Konspiration mit dem Schreiner, die Marlen beobachtet haben wollte, passte jedenfalls nicht in das Bild, das Paul von Densdorf hatte: Die beiden Männer agierten auf verschiedenen Ebenen. Zwischen ihnen lagen – gesellschaftlich betrachtet – Welten. Es wäre ganz einfach unter Densdorfs Würde gewesen, sich mit einem einfachen Handwerker einzulassen oder – wie es Blohfeld angedeutet hatte – zu verbünden, um gemeinsam ein krummes Ding zu drehen.
Paul wickelte den Schal fester um seinen Hals, als ihm eine eisige Böe entgegenschlug. Er erreichte den Friedrich-Ebert-Platz und setzte sich in die Straßenbahn nach Erlenstegen. Die herrschaftlichen Villen links und rechts seines Weges registrierte er diesmal kaum noch, so sehr war er auf sein Vorhaben fixiert.
Er hatte sich vorgenommen, noch einmal bei Densdorf selbst anzusetzen. Er wollte nicht mehr länger an der Oberfläche kratzen, sondern hatte das dringende Bedürfnis herauszufinden, was Densdorf eigentlich wirklich für ein Mensch gewesen war. Worin hatten seine wahren Absichten gelegen? Paul wollte zumindest einen Versuch starten, die Witwe Densdorfs doch noch für sich einzunehmen und zum Reden zu bringen. Denn sie wusste mit Sicherheit weit mehr, als sie bisher hatte preisgeben wollen.
Bei dem Gedanken an seinen letzten Besuch und die unerfreuliche Bekanntschaft mit dem Hund graute ihm zwar in gewisser Weise vor einer weiteren Begegnung, aber sie war notwendig, wenn er Antworten auf seine Fragen über Densdorf finden wollte. Und immerhin gab es ja noch einen weiteren triftigen Grund dafür, Frau Densdorf erneut zu behelligen: das angeblich vernichtete Flugticket mit dem Namen von Densdorfs letzter Flamme.
Keine fünf Gehminuten von der Straßenbahnhaltestelle entfernt, hatte er sein Ziel bereits erreicht. Er stand vor dem schmiedeeisernen Gartentor und vergewisserte sich davon, dass er allein war. Und tatsächlich: Weder eine ungebetene alte Freundin der Witwe noch ihr gemeingefährlicher Hund erwarteten ihn.
Ganz sachte betätigte Paul den Klingelknopf und wartete. Er drückte noch einmal. Doch genau wie bei seinem letzten Besuch tat sich rein gar nichts. Paul konnte sich zwar kaum vorstellen, dass die Witwe noch immer mit
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