Paul Flemming 01 - Dürers Mätresse
Gartenarbeiten im Dauerfrost beschäftigt war, doch er beschloss, sich auf das Wagnis einzulassen und nachzusehen.
Vorsichtig öffnete er das Gartentor, gefasst darauf, dass der Hund jeden Augenblick um die Ecke schießen könnte. Paul stapfte durch die blendend weiße Schneemasse, die die Wiese rund um die Villa bedeckte. Er näherte sich sehr langsam der kleinen Laube, in deren Nähe er Frau Densdorf beim letzten Mal angetroffen hatte.
Er war nun inmitten des parkähnlichen Gartens und stellte damit ein gefundenes Fressen für den Hund der Witwe dar. Doch noch immer tat sich nichts. Nicht einmal aus dem Zwinger, den Paul in einigen Metern Entfernung an der Hauswand erkannte, ertönte ein Geräusch. Kein Winseln, geschweige denn ein Bellen.
Paul hatte bald die Rabatte erreicht, an der Frau Densdorf bei ihrem letzten Treffen so fleißig beschäftigt gewesen war. Die Schnittstellen waren noch frisch. Im Schnee erkannte Paul einen Gegenstand und bückte sich. Als er danach griff, hielt er Frau Densdorfs Heckenschere in der Hand.
Nachdenklich erhob er sich und schaute sich um: Der Garten lag weit und einsam vor ihm. Alles deutete darauf hin, dass Frau Densdorf nicht zu Hause war. Was also hatte er hier noch zu suchen? Pauls Blick fiel auf die Gartenlaube, ein betagtes, aber gut gepflegtes Holzhäuschen im Schatten einer stattlichen, schneebedeckten Linde. Mehr aus Unschlüssigkeit als aus Neugierde ging Paul die wenigen Meter bis zur Laube hinüber. Die Tür war nur angelehnt, daher hatte er keine Skrupel, sie ganz zu öffnen.
Im Inneren gab es kaum Licht. Doch das, was Paul in Umrissen erkannte, ließ ihn bis ins Mark getroffen zurückweichen. Keuchend und mit wild schlagendem Herzen blieb er vor der Laube stehen. Es vergingen mehrere Minuten, bis er sich wieder gefasst hatte. Er zwang sich, die Laube noch einmal zu betreten.
Paul atmete dreimal tief durch und stieß die Tür erneut auf. Er ging nun zielgerichtet in den dunklen Raum und zog die dichten Vorhänge vor zwei kleinen Fenstern auf.
Der Anblick, der sich ihm bot, löste einen starken Brechreiz aus: Von zwei Metallhaken an der Decke hingen Seile herab. Eines sehr dick und solide, das andere etwas dünner. Paul stand wie angewurzelt da und betrachtete das Unfassbare: An dem dünneren Seil hing der Hund, die Augen verdreht, die Zunge aus der weit geöffneten Schnauze hängend.
Das andere Seil hatte Frau Densdorf für sich selbst reserviert.
Paul hatte nach diesem erschütternden Erlebnis eine Weile gebraucht, um wieder zu sich zu kommen. Dann hatte er zwei Nummern in sein Handy getippt: die von Katinka und einige Minuten später die des Polizeinotrufs. In dieser Reihenfolge trafen die Alarmierten am Tatort ein.
Paul gab das Wenige, das er zu diesem Vorfall sagen konnte, zu Protokoll. Katinka schaffte es dann, ihn relativ schnell loszueisen. Mit ihrem Wagen, einem schwarzen 3er-BMW, fuhren sie wortlos bis zum Stresemannplatz, wo Katinka das Auto spontan abbremste und in eine Parklücke steuerte.
»Ich lade dich auf einen Kaffee ein«, sagte sie.
Sie gingen ins Metropolis, ein Café mit angeschlossenem Kino. Das gut besuchte Lokal ließ Paul bald auf andere Gedanken kommen. Katinka setzte sich ihm gegenüber, strich ihre Haare zurück, schlug die Beine übereinander. Paul entspannte sich. Ja: Ein heißer Milchkaffee war jetzt genau das Richtige. Auch Katinka wirkte langsam gelöster. Sie beugte sich zu ihm vor, um etwas zu sagen. In diesem Augenblick surrte ihr Handy. Sie machte eine entschuldigende Handbewegung und nahm ab. Paul hörte eine weibliche Stimme aus Katinkas Handy.
»Was soll das heißen: Es ist nichts im Kühlschrank?«, fragte Katinka gereizt. »Dann schnapp dir eine Tasche und geh um die Ecke in den Supermarkt.«
Paul schaute verlegen in eine andere Richtung.
»Nein«, verbesserte Katinka ihre Gesprächspartnerin. »Nein, ich bin nicht dein Diener. Du hast selbst zwei Beine, um einkaufen gehen zu können.«
Paul hörte unfreiwillig jedes Wort dieser Unterhaltung mit. Er hatte zwar gewusst, dass Katinka verheiratet war und ein Kind hatte, kannte aber sonst keine Details.
»Kein Geld?«, presste Katinka heraus. »Ich habe dir erst gestern zehn Euro gegeben. Wo sind die schon wieder geblieben?«
Katinka schrumpfte bei jedem Satz ihrer Tochter um einen Zentimeter.
»Okay. Ich bringe auf dem Nachhauseweg etwas vom Imbiss mit. Küsschen und tschüss.« Katinka klappte ihr Handy zusammen und steckte es wütend weg. Unaufgefordert
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