Paul Flemming 01 - Dürers Mätresse
Genüsslich nippte er erneut an seinem Wein und zog ausgiebig an seiner Zigarre, bevor er fortfuhr: »Das nach außen zur Schau getragene Zerwürfnis der beiden spielte ihnen in diesem Fall natürlich in die Hände. Alle – inklusive uns beiden – hätten nie und nimmer eine Komplizenschaft zwischen Densdorf und der Karczenko erwartet.«
Paul nickte abermals anerkennend. »Am Ende hat Densdorf seine Kontrahentin dann aber doch unterschätzt.«
»Ja«, sagte Blohfeld. Er legte die Zigarre beiseite. »Wir haben es hier mit einem Profi zu tun. Es würde mich nicht wundern, wenn wir bei Karczenkos Vorgeschichte noch auf so manch andere Leiche im Keller stoßen würden.«
Paul hob sein Glas und schaute nachdenklich auf die in sich zusammenfallende Schaumkrone. »Was fangen wir nun mit unserem Wissen an?«, fragte er.
Blohfeld dachte einen Moment lang angestrengt nach.
»Zunächst einmal sacken lassen und schauen, ob unsere Theorie morgen noch genauso gut klingt und Bestand hat. Wenn ja, informieren wir Ihre Freundin, die Staatsanwältin.«
Aufgewühlt machte sich Paul gemeinsam mit Blohfeld auf den Weg. Die Luitpoldstraße war trotz oder gerade wegen der fortgeschrittenen Stunde noch belebt. Die verheißungsvollen Auslagen in den Schaufenstern konnten aber wohl nur den wenigsten ausreichend innere Wärme vermitteln. Die klirrende Kälte nahm Paul und seinen Begleiter beim Verlassen des Lokals in ihren Griff. Eines der Sexplakate erregte Pauls Aufmerksamkeit. Nicht wegen seiner Freizügigkeit, denn davon gab es in dieser Straße ohnehin genug. Das Bild zeigte lediglich einen Mund: überdimensional vergrößerte Lippen, die ein wollüstiges Lächeln formten. Paul blieb stehen und betrachtete ein anderes Bild in dem Schaufenster. Auch dabei handelte es sich um eine Detailaufnahme.
»Was ist? Turnt Sie der Laden an?«, fragte Blohfeld.
Paul schüttelte den Kopf. Das zweite Bild zeigte ein Paar Augen. Halb geschlossene Augen mit sinnlich geschwungenen Brauen.
»Ich kenne einen besseren Laden«, Blohfeld wollte ihn von dem Fenster wegziehen. Doch Paul blieb unbewegt stehen.
»Warten Sie«, sagte er leise, »mir ist gerade eine Idee gekommen.« Paul wandte sich dem Reporter zu. »Erinnern Sie sich an die Skizze mit den Augen?«
»Die, die Sie aus der Behausung des Penners haben mitgehen lassen? Aber natürlich erinnere ich mich. Worauf wollen Sie hinaus?«
»Dieser Penner kannte die Mörderin. Ich bin mir jetzt sicher, dass er versucht hat, sie zu malen.«
»Ja, das ist anzunehmen. Aber dummerweise ist er nicht fertig geworden.«
»Leider nicht«, räumte Paul ein. »Doch es ist ein Anfang. Haben Sie noch Zeit für einen kurzen Abstecher in mein Atelier? Ich möchte Ihnen das Bild gern noch einmal zeigen, vielleicht erkennen Sie Ähnlichkeiten mit der Karczenko.«
Die beiden Männer legten den Weg ins Burgviertel im Eiltempo zurück und nutzten jeden Schleichweg, um der Eiseskälte so schnell wie möglich zu entkommen.
Wortlos betraten sie den Flur von Pauls Haus und stiegen die knarrende Treppe hinauf in die Dachgeschosswohnung. Paul setzte den Schlüssel an und öffnete die Tür. Noch im Rahmen stehend stutzte er.
»Was ist nun schon wieder?«, erkundigte sich der Reporter. Seine Himmelfahrtsnase war vom Frost rot gefärbt.
Paul drehte noch einmal den Schlüssel im Schloss. »Ich weiß nicht. Normalerweise schließe ich doppelt ab. Eben musste ich den Schlüssel aber nur ein Mal umdrehen.«
Blohfeld legte ihm kumpelhaft die Hand auf die Schulter.
»Mein lieber Herr Fotograf: Sie sehen Gespenster. Wahrscheinlich haben Sie vorhin im hektischen Aufbruch zu unserem Treffen ganz einfach vergessen zwei Mal abzuschließen. Seien Sie froh, dass Sie überhaupt zugesperrt haben.«
Paul nickte zweifelnd. Er ging zielstrebig zum Couchtisch. Er hockte sich neben den Stapel aus Zeitungen und Zeitschriften und suchte nach der Zeichnung. Zunächst langsam und geordnet, dann hektischer.
»Sagen Sie nicht, dass Sie das Bild auch verschlampt haben«, höhnte Blohfeld.
»Moment mal: Selbst wenn es anders aussehen mag – bei mir ist noch nie etwas abhanden gekommen.«
»Na ja.« Blohfeld schien von Pauls Ordnungssinn nicht überzeugt zu sein.
»Verflucht, das gibt es doch nicht!«, schimpfte Paul und durchsuchte zunehmend panisch den Raum. »Das darf nicht wahr sein!« Er suchte jetzt auch hinten in der Küchenzeile. Dann gab er auf und wandte sich an Blohfeld.
Dieser setzte sich an die aufgebockte Glasplatte, die
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