Paul Flemming 01 - Dürers Mätresse
den direkten Weg in ein Stripteaselokal gegenüber einschlugen. Im Eingang stießen sie beinahe mit einem Geschäftsmann zusammen, der peinlich berührt sein Revers hochschlug.
Gackernd wie die Belegschaft eines kompletten Hühnerstalls verließen einige Frauen eine Sexboutique direkt daneben. Mit ihren gut gefüllten Einkaufstüten versperrten sie Paul den Weg, und er musste die muntere Truppe umgehen, um zu Blohfelds Treffpunkt zu gelangen: einer Bar, die zwar ebenfalls in rotes Licht getaucht war, mit dem Rotlichtmilieu aber nichts zu tun hatte.
Freundlich souverän wurde er von einem korrekt gekleideten Kellner begrüßt. In den dezent beleuchteten Räumlichkeiten musste sich Paul erst orientieren, bevor er den Reporter unter einer historischen Ansicht der Luitpoldstraße vor einem beachtlich großen Rotweinschwenker sitzen sah.
»Mir gefällt die reizvolle Umgebung dieser Kneipe«, sagte Blohfeld zur Begrüßung.
»Ja, reizvoll ist wohl das richtige Wort«, gab Paul amüsiert zurück. »Ich wette, Sie kennen jedes dieser Häuser von innen.«
Blohfeld hatte augenscheinlich Mühe, auf diese Vorlage nicht mit einer deftigen Anekdote einzugehen, und zündete sich stattdessen eine Zigarre an.
Paul legte seine Jacke ab und platzierte seine gefütterte Baseballkappe neben sich auf einer mit Samt bezogenen Bank. Dann legte er seine rudimentäre Namensliste auf den Tisch: eine Auflistung der letzten verbliebenen Verdächtigen. Blohfeld zog sich das Blatt Papier näher heran. Er lächelte feinsinnig und holte sein Notizbuch hervor. »So eine habe ich auch. Gehen wir unsere beiden Listen systematisch durch und gleichen sie ab«, entschied er.
»Mit wem fangen wir an?«, fragte Paul.
»Mit den schwarzen Witwen. Zunächst die Nummer eins, die Frau des Schreinermeisters.« Blohfeld zitierte aus seinem Büchlein: »… beteuerte die Hinterbliebene, niemals Rachegedanken irgendwelcher Art gegen den Mörder oder die Mörderin ihres Mannes gehegt zu haben«.
Paul ahnte, dass Blohfeld aus den geheimen Verhörprotokollen der Polizei vorlas, und wollte lieber nicht wissen, woher er diese hatte. »Wenn die Witwe so sehr auf ihre Unschuld pocht …«, setzte er an.
»… ist sie wahrscheinlich das genaue Gegenteil von unschuldig«, führte Blohfeld den Satz zu Ende.
»Sie spielen auf die Theorie an, dass sie nicht nur aus Rache, sondern auch aus verletzten Gefühlen gehandelt haben könnte – nämlich als verstoßene Geliebte von Densdorf?«
»Ja, diese Theorie gefällt mir sogar besonders gut. Sie ist so schön schmutzig.«
»Aber wir haben sie doch selbst gesehen und persönlich mit ihr gesprochen. Die Frau ist viel zu geschwächt und wohl auch zu einfältig für eine solche Affäre. Sie ist einfach nur eine brave Spießerin. Außerdem war sie weder Densdorfs Typ, was ihre Rolle als heimliche Geliebte gerechtfertigt hätte, noch deckt sie sich von Figur und Größe mit dem Phantom auf meinen Fotos.«
»Vor allem gab es ja keine Gewebe- oder Haarspuren von ihr am Tatort«, vollendete Blohfeld geschlagen und strich ihren Namen durch. »Kommen wir zu Witwe Nummer zwei: Frau Densdorf.«
»Die ist selbst tot«, wandte Paul ein.
»Was nicht bedeuten muss, dass sie nicht die Täterin war.«
»Aber für sie gelten die gleichen Ausschlusskriterien wie für die andere Witwe«, sagte Paul.
»Das ist leider wahr«, sagte Blohfeld und malte den nächsten dicken Strich in sein Notizbuch. »Kommen wir zu Bürgermeister Frommhold und seiner Frau.«
»Beate Frommhold hat ein Alibi«, sagte Paul in Anspielung auf seine beinahe missglückte Beschattung der flotten Mercedes-Coupé-Fahrerin und ihres heimlichen Liebhabers.
»Das Gleiche gilt für den Bürgermeister selbst. Er stand am Abend der Christkindlesmarkteröffung am Fenster des Neuen Rathauses – mit sämtlichen wichtigen Referenten und Amtsleitern als Zeugen.«
Paul sah ratlos auf. »Es ist immer dasselbe, wenn ich die Liste durchgehe. Es gibt jede Menge Verdächtige, aber am Schluss ist es niemand gewesen.«
»Machen wir weiter«, forderte ihn Blohfeld auf. »Was ist mit der kleinen Kellnerin, die so viel und doch so wenig über das Treffen von Densdorf und dem Schreiner weiß?«
»Marlen?«, Paul schluckte. »Wenn sie tatsächlich hinter das Geheimnis der beiden gekommen wäre, hätte sie womöglich ein Motiv gehabt.«
»Und sie deckt sich mit den Proportionen Ihres Phantoms, habe ich Recht?«
Der Kellner unterbrach sie, als er Paul ein Bier servierte. Sobald er
Weitere Kostenlose Bücher