Paul Flemming 02 - Sieben Zentimeter
richtigen Schlüsse ziehen würde. »Auch Antoinette könnte die Mörderin von Wiesinger gewesen sein.«
Paul verschluckte sich an seinem Kaffee. »Bitte?« Für seinen Geschmack wechselte Katinka ziemlich leichtfertig von einem Tatverdächtigen zum nächsten. »Aber wir wissen, dass Jungkuntz eng mit der Sache verstrickt war. Und die Familie Wiesinger bleibt ja wohl auch höchst verdächtig«, argumentierte er aufgebracht. »Du willst sie doch wohl nicht ungeschoren davonkommen lassen!«
Katinka tat diesen Einwand mit einer lässigen Handbewegung ab. »Natürlich nicht. Jungkuntz sitzt bereits in U-Haft und wird nicht so bald auf freien Fuß gesetzt werden. Er ist nachgewiesenermaßen ein gewitzter Betrüger und Steuerhinterzieher. – Aber«, sie sah Paul fest in die Augen, »er hat sich selbst nie die Hände schmutzig gemacht. Auch seinem Mann fürs Grobe, dem Schönen Hans, konnte nicht nachgewiesen werden, zur Tatzeit in der Nähe der Wiesinger-Villa gewesen zu sein.«
Katinka nahm einen Schluck Kaffee. »Und bei den Wiesingers sind mir zur Zeit bekanntlich die Hände gebunden.«
»Na fein«, entgegnete Paul lakonisch. »Da kommt Antoinette als neuer Sündenbock wohl gerade recht.«
»Jetzt werde bitte nicht unsachlich, Paul«, rügte ihn Katinka. Sie lehnte sich zurück. »Ich sage ja nicht, dass sie es wirklich war, aber sie könnte es gewesen sein. Überleg doch mal: Es wäre möglich, dass Antoinette ihren Vater umgebracht hat, weil er sie nicht als legitime Tochter anerkennen wollte. Meinetwegen im Affekt. Sie selbst wurde später durch unglückliche Umstände Opfer eines Überfalls – vielleicht könnte man hier von Schicksal sprechen.«
Paul sah Katinka voll Unverständnis an. »Du kannst doch nicht die Freundin deiner Tochter als Mörderin abstempeln! Und es ist blanker Unsinn, ihren eigenen Tod als Zufall abzutun! Willst du ihren Brief etwa ignorieren?«
»Lieber Paul, leider muss ich immer wieder feststellen, dass du dich nicht in die Gedankenwelt anderer Leute und schon gar nicht in die von Tätern hineinversetzen kannst«, sagte sie belehrend. »Antoinettes Brief könnte auch ein Ablenkungsmanöver gewesen sein. Reiner Selbstschutz.«
»Selbstschutz?«
»Ja«, nickte Katinka, »eine Finte! Vielleicht hat sie den Brief bewusst falsch frankiert, damit wir ihn in die Hände bekommen und sie nicht verdächtigen, selbst die Täterin gewesen zu sein. Ein cleverer Schachzug von ihr.«
»Das glaube ich nicht«, sagte Paul – und doch fand er Katinkas Argumentation schlüssig. Auch er hatte sich darüber gewundert, dass Antoinette ihren Brief dermaßen ausführlich zu Papier gebracht, ihn aber mit zu wenig Porto versehen hatte. Und ein Mordmotiv hatte sie bekanntlich allemal gehabt. War Antoinette eine kühl kalkulierende Mörderin gewesen und ihr eigener Tod am Ende wirklich nur das Ergebnis eines einfachen Verbrechens? Alles in Paul sträubte sich gegen diese Vorstellung. Vor allem die vielen Fragezeichen um Antoinettes Tod stärkten seine Zweifel. »Haltet ihr an eurem Fahndungsaufruf fest?«
Katinka wandte sich blasiert ab. »Wie oft willst du mich das eigentlich noch fragen? Blohfeld bleibt unter Mordverdacht. Hast du ein Problem damit?«
»Ja«, sagte Paul schroff. »Und du könntest bald auch eines damit bekommen. Weil du nicht einsiehst, dass die Sache inzwischen ganz andere Kreise zieht.«
Katinka musterte ihn feindselig.
»Bitte verstehe mich nicht falsch, aber ich glaube, dass wir alle von irgendjemandem an der Nase herumgeführt werden«, versuchte Paul sie auf den richtigen Weg zu bringen.
»Und – bitte sehr – von wem?« Katinka lachte rau. »Willst du mir jetzt womöglich mit einem unbekannten Dritten kommen? Wieder ein neuer Verdächtiger?«
Paul war selbst verunsichert. Es fiel ihm schwer zu argumentieren: »Immerhin kann Antoinettes Brief auch einen verklausulierten Hinweis auf den wahren Mörder enthalten.«
»Paul, lass es doch einfach sein«, sagte Katinka. »Durch dein Herumgepfusche in meiner Arbeit wird alles nur noch komplizierter.«
Seine geplante Einladung für einen gemeinsamen Abend verkniff sich Paul ebenso wie jeden Versuch, das Gespräch über die Morde fortzusetzen. Immerhin war wenigstens das Frühstück ausgesprochen gut. Beide saßen in ihren Liegestühlen, aßen und schwiegen sich an.
Passanten zogen an ihnen vorbei. Die meisten luftig gekleidet, mit einem Lächeln auf den Lippen. Paul kam sich ein wenig vor wie im Italienurlaub. Nur entspannen
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