Paul Flemming 04 - Die Meisterdiebe von Nürnberg
öfteren mit der schwächelnden Auflage und den damit verbundenen Honorarkürzungen konfrontiert worden war. Paul war sicher, dass auch Schrader das wusste.
Sie gingen durch einen langen Flur, der gleichzeitig die Funktion einer Galerie erfüllte. Im Gehen nahm Paul linker und rechter Hand Gemälde, Grafiken und Fotografien wahr. Nach Pauls oberflächlicher Einschätzung handelte es sich dabei um Klassiker ebenso wie um zeitgenössische Werke.
»Mir kommt es weniger auf meine eigene Person an«, redete Schrader weiter, »es geht um die Sache. Ich bin nur derjenige, dem das große Glück vergönnt ist, die Ausstellung der Reichskleinodien in dieser Stadt zu repräsentieren.«
»Das haben Sie sich ja auch eine ganze Stange Geld kosten lassen«, warf Paul flapsig ein und biss sich im selben Moment auf die Zunge. Er hatte das böse Wort benutzt, über das man in diesem Hause nicht redete.
Schrader blieb prompt stehen. Sein Lächeln war für einige Sekunden verschwunden, bevor er es wiederfand und sagte: »Ohne privates Kultursponsoring wären Ausstellungen wie diese überhaupt nicht mehr möglich.«
»Da stimme ich Ihnen voll und ganz zu.« Paul nickte anerkennend. »Sie leisten sehr viel für unsere Stadt, und genau das wollen wir in unserer Zeitung hervorheben.«
Schrader schien das zu goutieren. Er setzte den Rundgang mit Paul fort und leitete ihn zu einer Tür, deren Schloss nur mit einem PIN-Code geöffnet werden konnte. Schrader tippte die vierstellige Nummer ein, woraufhin sich die Verriegelung mit leisem Summen löste.
Sie befanden sich nun im eigentlichen Atelier der Schraders. Auch hier hingen Werke mit altertümlicher Patina zwischen modernen Kunstwerken. Obwohl sich Pauls Kenntnisse der Bildenden Künste mehr oder weniger auf das Schaffen Albrecht Dürers beschränkte, ahnte er, dass Schrader in diesem Raum etliche Raritäten versammelt hatte. Paul sah sich interessiert um und stellte fest: Viele der Bilder zeigten biblische Motive.
»Manchmal fühlt man sich sehr einsam in seinem Streben nach Gerechtigkeit«, sagte Schrader unvermittelt.
Paul war gerade dabei, seine Kamera einsatzbereit zu machen, und sah fragend auf: »Sie meinen, dass Sie die Reichskleinodien nach Nürnberg geholt haben?«
»Zurückgeholt«, betonte Schrader. »Ja, ich fühlte mich da oft als Kämpfer allein auf weiter Flur.«
»Aber Sie haben es letztlich geschafft.«
»Für eine gewisse Zeit, ja, das habe ich.« Schrader wirkte mit einem Mal niedergeschlagen.
»Das ist doch ein toller Erfolg«, sagte Paul und setzte seine Nikon auf ein einbeiniges Stativ, das ihm half, die Kamera ruhig zu halten, und somit längere Belichtungszeiten ermöglichte. Denn um die Kunstwerke zu schützen, konnte er hier keinen Blitz einsetzen.
»Ein toller Erfolg wäre es, wenn wir die Reichskleinodien für immer behalten dürften«, sagte Schrader mit einer gewissen Trotzigkeit.
Paul horchte auf, tat aber so, als würde er sich weiter auf seine Arbeit konzentrieren, und putzte die Linse seines Objektivs. »Das wird ja wohl kaum möglich sein«, sagte er mit gespieltem Bedauern.
»Warum denn nicht?« Ein Ruck ging durchs Schraders Körper. »Schauen Sie doch bloß mal ein paar Kilometer weiter in den Norden: Die Bamberger haben gemeinsam für ihren Domschatz gekämpft – warum halten wir Nürnberger bei unseren legitimen Rückgabeforderungen nicht genauso zusammen?«
Der Domschatz? Paul hatte in der Presse verfolgt, dass im Rahmen des tausendjährigen Bestehens des Bistums Bamberg etliche wertvolle Stücke aus dem Domschatz zu sehen gewesen waren, die als Eigentum der Wittelsbacher Landesstiftung ansonsten in der Münchner Residenz aufbewahrt wurden. Dort lagerten sie, seit sie 1803 während der Säkularisation kistenweise nach München geschafft worden waren. In Franken war seither vom Raub des Schatzes die Rede gewesen. Aber konnte man das mit dem Fall der Reichskleinodien vergleichen?
»Um die Exponate zur Ausstellung nach Bamberg zurückzubringen, mussten größte Widerstände überwunden werden.« Schrader redete sich allmählich in Rage. »Die Münchner wollten die Prunkstücke nicht herausgeben – genauso wenig wie die Wiener die Reichskrone und die anderen Insignien. Die Gründe waren sehr ähnlich: Sorgen wegen angeblicher Risiken beim Transport und Furcht vor Räubern. Die Befürworter hielten das für einen Vorwand und bestanden auf ihrer Forderung, den Schatz aus Altbayern zurück nach Oberfranken zu holen. An der Spitze der
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