Paul Flemming 04 - Die Meisterdiebe von Nürnberg
Bewegung stand sogar der Bamberger Oberbürgermeister. Von einer so breiten Rückendeckung kann ich bei uns leider nur träumen.«
»Trotzdem«, sagte Paul, »Sie haben es geschafft. Die Reichskleinodien sind hier. Und nun haben Sie alle auf Ihrer Seite, Herr Schrader.«
»Das reicht mir nicht«, sagte Schrader. »In Bamberg gab es mehrere Unterschriftenaktionen. Tausende Bürger haben ihre Namen unter die Forderung gesetzt, die Paradestücke als Dauerleihgabe für immer in Bamberg aufzubewahren.«
»Ja, aber auch hier demonstrieren doch Leute dafür, dass die Reichskleinodien in Nürnberg bleiben«, merkte Paul an.
»Das stimmt zwar«, gab Schrader zu, »aber hierfür wäre ein weitaus höherer Druck nötig, als ihn die Bamberger für ihren Domschatz ausgeübt haben. Auf die Reichskleinodien blickt die ganze Welt. Wenn wir Erfolg haben wollen, müssen wir unsere besten Kräfte bündeln und eine saubere Rechtskonstruktion zimmern.«
»Und wenn das auch zu nichts führt?«, forderte Paul Schrader heraus.
»Dann müssen wir uns einfach nehmen, was uns zusteht!«, sagte dieser energisch.
Paul sah Schrader erschrocken an. Ein angespanntes Schweigen herrschte im Raum. Lediglich das leise Summen der Klimaanlage war zu hören.
Dann lachte Schrader plötzlich auf, als wollte er seinen letzten Satz als Scherz markieren. Gleich darauf setzte er wieder den jovialen Gesichtsausdruck auf, mit dem er Paul begrüßt hatte, und signalisierte ihm, dass er nun für die Fotoaufnahmen bereit wäre.
Auf dem Rückweg durch den mit Bildern getäfelten Flur war Paul unschlüssig, ob er Schrader für einen zwar glühenden, aber ungefährlichen Kunstliebhaber und Förderer seiner Heimatstadt halten sollte. Oder aber, ob er ihm in seiner Sammelleidenschaft auch eine gewisse kriminelle Energie Zutrauen sollte. Auf dem Bau herrschten ja bekanntlich raue Sitten, also konnte Paul ganz sicher davon ausgehen, dass Schrader nicht zimperlich war, wenn es um die Durchsetzung seiner Interessen ging.
Paul dachte gerade darüber nach, wie er die wenigen verbleibenden Minuten nutzen konnte, um Schrader weiter auf den Zahn zu fühlen, als er neben einer Fotografie an der Wand stehen blieb.
»Das ist ja . . .«, setzte Paul an.
»Ein weiblicher Akt. Schwarzweiß. Nürnberg, 1997«, sagte Schrader amüsiert.
Paul beugte sich vor. »Das Bild ist von mir.«
»Ja«, bestätigte Schrader. »Eine herausragende Arbeit. Ich würde mir mehr davon wünschen.«
»Mal sehen, was sich machen lässt«, sagte Paul beschämt. Immerhin war er hier, weil er Schrader verdächtigte und bis zu diesem Abend nur Schlechtes über ihn gedacht hatte.
Doch Schrader und seine nette Familie hatten alles daran gesetzt, ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Selbst Schraders Worte über seine revanchistischen Rückforderungsgelüste erschienen Paul im Gesamteindruck nun bloß noch wie die leicht überzogenen Fantasien eines engagierten Kunst – und Heimatfreundes.
Die Hausdame stand mit einem Tablett voller köstlich duftender Snacks im Foyer, als Paul sich verabschiedete. Auch Frau Schrader, der Windhund und die beiden älteren Kinder waren zu seinem Abschied wie zur Parade angetreten. Paul nahm sich ein Lachsplätzchen und bedankte sich kauend für die Gastfreundschaft.
Als er die breiten Stufen zur Auffahrt hinunterging, folgte ihm Schrader junior bis zu seinem Renault.
»Aber komm gleich wieder herein. Es ist zu frisch ohne Jacke!«, rief seine Mutter ihrem Mittleren hinterher.
Der Knirps, der seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten war, reagierte nicht auf die Aufforderung seiner Mutter, sondern teilte Paul im selbstsicheren Tonfall eines Frühreifen mit: »Weißt du: Ich bin eigentlich gar kein Schulkind. Ich bin Pirat. Ich werde ja bald der Seeräuberkapitän auf unserer Lady of Darkness.«
»Glückwunsch.« Paul klopfte ihm auf die Schulter. »Du wirst bestimmt ein guter Kapitän sein und viel Beute machen.«
»Ja«, strahlte der Junge. »Noch viel mehr Beute als mein Papa!«
»Als dein Papa?«, amüsierte sich Paul und schloss umständlich die Tür seines Wagens auf. Die Zentralverriegelung hakte mal wieder.
»Noch viel mehr!«, bekräftigte der Junge stolz. »Mein Papa sagt, dass er immer alles bekommt, was er will. Und wenn er es mal nicht bekommen kann, dann nimmt er es sich trotzdem.«
Paul verharrte in der Bewegung. Er sah dem Jungen in die braunen Augen: »Dann nimmt er es sich trotzdem?«, fragte Paul so leise, dass Frau Schrader es an der
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