Paul Flemming 04 - Die Meisterdiebe von Nürnberg
belastende Indizien wie deinen eigenen Mantel aus dem Weg zu schaffen. Juristisch gesehen gehört zum Mord der Vorsatz. Einem Betrunkenen, der im Affekt einer Frau das Genick bricht und alle Beweise am Tatort liegen lässt, würde man Totschlag vorwerfen, aber keinen Mord. – Ich glaube, mit dieser Argumentation können wir dir ein bisschen mehr Luft verschaffen.«
»Danke«, sagte Paul schlicht. Dann kam er noch auf seinen Besuch bei den Schraders zu sprechen. Eher beiläufig erwähnte er auch die Kinder und seine Unterhaltung mit dem kleinen Quentin, der ihm so begeistert über den angeblichen geheimen Schatz seines Vaters berichtet hatte.
Paul wollte schon darüber hinweggehen, als Katinka ihn unterbrach:
»Wie war das?«, fragte sie mit eindringlichem Ton. »Dieser Junge hat gesagt, dass sich sein Vater alles holt, was ihm gefällt? Notfalls auch mit Gewalt?«
»Von Gewalt hat der Junge nichts gesagt«, korrigierte Paul sie.
»Vielleicht nicht im Wortlaut. Gemeint hat er es aber«, sagte Katinka bestimmt.
»Woher willst du das wissen?«
»Glaube mir, Paul: Ich kenne mich aus mit der kindlichen Psyche. Und das nicht nur aus meinen Erfahrungen mit Hannah, sondern auch aus den vielen Jahren am Jugendgericht.«
»Wie lautet also das Urteil der Richterin?«
»Ganz einfach«, antwortete Katinka. »Kindermund tut Wahrheit kund.«
Paul gab sich bewusst begriffsstutzig: »Was meinst du damit?«
»Genau das, was ich gesagt habe«, versetzte Katinka unbeirrt. »Wenn dir dieser Knips solche Geschichten über seinen Papa erzählt, wird etwas an der Sache dran sein.«
»Aber Kati«, wandte Paul zweifelnd ein, »der Junge hat über ein goldenes Messer geredet. Das ist wahrscheinlich nur seiner Fantasie entsprungen.« Er wollte vor ihr nicht zugeben, dass er selbst schon auf diese – seiner Meinung nach ziemlich naive – Idee gekommen war.
»Mag sein, dass es dieses goldene Messer nur in der Vorstellung des Jungen gibt, aber ein wahrer Kern ist ganz sicher in seiner Geschichte. Hannah hat in diesem Alter auch immer verklausuliert die Wahrheit gesprochen.«
»Worauf willst du hinaus?«, fragte Paul.
»Auf gar nichts. Ich werde mich hüten, einen mutmaßlichen Schwerverbrecher, der auf Kaution frei ist, zu irgendwelchen Dummheiten zu verleiten.«
»Haha, sehr witzig«, sagte Paul bitter. »Welche Art Dummheiten meinst du?«
»Nun – vielleicht hat dieser Junge ja gar nicht von irgendeinem beliebigen Messer gesprochen – oder einem Dolch –, sondern von etwas ganz Bestimmtem.«
»Du denkst doch nicht etwa . . .?«, fragte Paul, verwundert, dass Katinka offenbar für möglich hielt, was er schon als Hirngespinst verworfen hatte.
»Warum denn nicht?«, konterte sie.
»Weil das unmöglich ist!«
»Wenn mein Kopf in der Schlinge stecken würde wie deiner, wäre für mich gar nichts unmöglich«, sagte Katinka bestimmt.
18
Paul hatte die Autos vor der Billroth-Schule sehr genau beobachtet. In einigen saß niemand. Sie gehörten anscheinend den Frauen, die auf dem Gehsteig vor dem Schuleingang beisammen standen und eifrig plauderten. In anderen Wagen saßen weitere Frauen, die auf den Schulschluss warteten. Eine hatte ihr Fenster heruntergekurbelt, um die Asche ihrer Zigarette abzuklopfen.
Sein eigentliches Interesse galt allerdings einer dunklen Limousine, deren Fahrer nur noch einen Parkplatz hinter den Autos der Mütter ergattert hatte. Der Mann am Steuer des großen BMW, den Paul anhand seiner Kleidung als Chauffeur einstufte, war in die Lektüre einer Zeitung vertieft.
Paul kalkulierte, dass die recht große Entfernung der Limousine und die Zeitung, die den Chauffeur ablenkte, seine Chancen erhöhten. Außerdem versperrten der Hausmeisterbungalow und die Fahrradständer den Blick auf den Ausgang der Schule. Trotzdem war ihm nicht wohl bei der Sache. Er kam sich mies vor. Dass er hier vor einer Grundschule stand und einem Kind auflauerte, ging ihm ziemlich gegen den Strich – aber anders würde er wohl keine Gelegenheit bekommen, Schrader junior noch einmal auszufragen.
Paul sah auf seine Armbanduhr. Noch fünf Minuten bis zum Ende der sechsten Stunde. So beiläufig wie möglich ging Paul an den wartenden Mamis vorbei, grüßte freundlich und näherte sich dem Eingangsbereich der Schule.
Er war Blohfeld dankbar, dass er für ihn – ohne viel Aufhebens davon zu machen – in seiner persönlichen Promikartei nachgesehen hatte, um die Schule des kleinen Schrader ausfindig zu machen. Das hatte Paul
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