Paul Flemming 04 - Die Meisterdiebe von Nürnberg
den Kopf. Drahtig, kurzes rotes Haar, Sommersprossen. Bei ihrer ersten Begegnung war die studierte Maschinenbauingenieurin Katinka, seiner Begleiterin, ziemlich frech ins Wort gefallen.
Paul war nicht blind: Natürlich war ihm aufgefallen, dass Jasmin ihm schöne Augen gemacht hatte. Und später dann – das wusste nicht einmal Hannah – hatte Jasmin ihn in seinem Atelier besucht. Mit einer roten Rose als Gastgeschenk.
Er ließ Hannahs Worte auf sich wirken: Paul – ein Herzensbrecher? Er schüttelte den Kopf. Wenn er einer war, dann zumindest nicht aus Kalkül. »Leben und leben lassen«, lautete Pauls Devise. So wollte er es auch dieses Mal halten.
Er würde sich also mit Jasmin Stahl in Verbindung setzen. Sie war die Einzige, die ihm legal Zutritt zum Lochgefängnis verschaffen konnte und der er noch dazu vertraute.
26
»Du kommst genau zur rechten Zeit!« Paul wurde von Jan-Patrick mit offenen Armen begrüßt. Er hatte sich mitsamt seinem Handy in den Goldenen Ritter geflüchtet, nachdem ihm zuhause die Decke auf den Kopf gefallen war. Seit Stunden wartete er auf einen Rückruf von Jasmin Stahl, der er sein Anliegen auf Band gesprochen hatte. Doch die Kommissarin ließ ihn warten.
»Du bist mein Versuchskaninchen, einverstanden?« Der kleine Küchenmeister mit dem dunklen Teint eines Südeuropäers führte ihn durch das gut besuchte Lokal. Im Vorbeigehen winkte Paul der Kellnerin Marlen zu, die wie immer eifrig dabei war, übervolle Tabletts im Slalom an Stühlen und Tischen vorbei durch die verwinkelten Gasträume zu balancieren, ohne je ihr Lächeln zu verlieren. Jan-Patrick leitete Paul direkt bis in die Küche, in der ein verheißungsvoll duftender Dunst hing.
»Was soll ich denn probieren?«, fragte Paul, dem Jan-Patricks herzlicher Empfang gut tat.
»Ein Spargelgericht natürlich.« Der Koch drückte Paul in eine schmale Sitzecke und wandte sich seinen brodelnden Töpfen zu. »Das fränkische Gold! Diesmal ist es allerdings nur eine Beigabe.«
»Also?« Paul lief bereits das Wasser im Mund zusammen. Er bemerkte erst jetzt, dass er seit Stunden keinen Bissen zu sich genommen hatte.
»Haxe und Bries vom Milchlamm, Confit von der Schulter, gebratenes Karree und getrüffelte Kutteln vom Lamm mit Kartoffel-Törtchen und Butterspargel.«
»Das ist ja eine ganze Speisekarte«, sagte Paul ehrfürchtig-
»Nein, nein, alles nur Kleinigkeiten. Fränkische Tapas«, säuselte Jan-Patrick mit kokettierender Bescheidenheit und ließ die Kochlöffel wirbeln. »Bloß ein paar erlesene Gaumenfreuden.« Dann machte er sich daran, die Lammschulter zu salzen, zu pfeffern und mit Erdnussöl einzureiben. In einem Bräter schob er das Fleisch anschließend in einen vorgeheizten Ofen.
»Darf ich fragen, ob es bei dir inzwischen Fortschritte gibt?«, erkundigte sich der Koch beiläufig. Doch Paul hörte ihm an, wie unangenehm ihm die Angelegenheit war.
»Um ehrlich zu sein . . .« Paul warf einen bangen Blick auf sein Handy. Aber es blieb stumm. »Ich komme nicht so recht von der Stelle.«
Jan-Patrick hob den Deckel eines großen Topfs an. »Die Haxe. Sie kocht eineinhalb Stunden mit Salzwasser bedeckt. Eine zweite habe ich schon entbeint und in kleine Stücke geschnitten.« Paul sah zu, wie sein Freund gleich darauf das Bries trocken tupfte, das er in kochendem Wasser blanchiert hatte. Während er rohen Speck fein schnitt und mit fränkischen Schieferntrüffeln mischte, sagte der Koch: »Weißt du, ich war im Germanischen Nationalmuseum und habe mir dieses Gold-Buch angesehen.«
»Was meinst du?«, fragte Paul, ein wenig verwundert über Jan-Patricks plötzlichen Themenwechsel.
»Das Goldene Evangelienbuch«, erklärte der Küchenmeister, während er aus den Kutteln kleine Quadrate schnitt, die Speck-Trüffel-Mischung darauf strich, die Stücke einrollte und mit Küchengarn festband, um sie dann im Lammfond zu kochen. »Mit Goldtinte geschrieben, der Einband aus Edelsteinen. Du weißt schon.«
»Ach, die Evangelien von Echternach«, begriff Paul. »Das Germanische hat sie Mitte der fünfziger Jahre ziemlich günstig gekauft, für etwas mehr als eine Million Mark. Seitdem ein echter Publikumsrenner«. So viel fiel Paul zu dem berühmten Codex Aureus ein. »Wie kommst du jetzt darauf?«
Jan-Patrick drückte in Salzwasser gekochte Kartoffeln durch eine Presse und rührte Butter darunter. Mit einem weiteren großen Klecks Butter bräunte er den Rest des Brieses in einer gusseisernen Pfanne. Im Nachbartopf köchelte
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