Paul Flemming 04 - Die Meisterdiebe von Nürnberg
dezidiert und professionell geplanten schweren Diebstahl verhindert hat – ich möchte sogar sagen, den Coup des Jahrzehnts«.
Wäre Paul nicht in einer so misslichen Lage gewesen, hätte er angesichts dieser Verdrehung der Tatsachen laut aufgelacht. Aber ihm war nicht nach Lachen zumute. Und dass er und Jasmin in dem Artikel mit keiner Silbe erwähnt wurden, konnte ihm ja nur recht sein – denn ihre gemeinsame und keineswegs mit dem Präsidium abgestimmte Aktion hätte ihnen auch jede Menge Ärger einbringen können.
Er las weiter. Was folgte, waren einige an den Haaren herbeigezogene Erklärungsversuche der Zeitung, wer oder was hinter dem geplanten Einbruch stecken könnte. Die Polizei hielt sich bei dieser Frage nämlich bedeckt. Paul meinte auch den Grund dafür zu kennen: Die Ermittler hatten keine Ahnung. Denn wer eine so aufwendige und clever versteckte Anlage installierte, hinterließ keine Fingerabdrücke oder ähnliche Hinweise auf seine Identität, folgerte Paul.
Der Text endete mit einer Erklärung des städtischen Presseamtes, dass die Ausstellung bis auf Weiteres geschlossen bleibe. Ganz am Schluss kam eine Nachricht, der nach Pauls Empfinden ein weitaus größerer Stellenwert in der Berichterstattung hätte eingeräumt werden müssen: Wegen der Erhöhung der Sicherheitsstufe hatten die Veranstalter die Untersuchung der Heiligen Lanze durch den Metallurgenkongress abgesagt!
Paul stieß einen leisen Pfiff aus. Donnerwetter, dachte er, von dieser Entscheidung dürften die Herren Wissenschaftler aber alles andere als begeistert sein.
Nachdenklich hob er den Kopf und sah durch die große Frontscheibe des Cafes auf den Weinmarkt. Wieder hatten ihn seine Nachforschungen über den Mordfall Meinefeld auf die Reichskleinodien und ganz explizit auf die Heilige Lanze gebracht. Mit den Abhörutensilien, auf die sie gestoßen waren, war ein weiteres Teil dieses komplizierten Puzzles dazugekommen. Aber wohin führte ihn das alles, fragte sich Paul.
Im Spiegel der großen Fensterscheibe beobachtete er sich dabei, wie er sich unruhig die Hände rieb. Er sah nicht besonders glücklich aus, dachte Paul. Die Augenpartie war verkniffen, der Mund wirkte verbittert. Die Stoppeln an Kinn und Wangen zeigten, dass es sich inzwischen mindestens um einen Fünftagebart handelte.
Mitten in der kritischen Selbstanalyse winkte jemand durch das Spiegelbild. Paul sah verwundert hin. Und er fragte sich, ob es ein Zufall war, sie vorm Cafe Sebald zu sehen.
»Ich hatte dich eigentlich bei dir zuhause vermutet«, sagte Jasmin und ließ sich auf den freien Stuhl neben Paul fallen. »Puh«, sagte sie außer Atem. »Dann habe ich im Goldenen Ritter nach dir gesucht, beim Bäcker und beim Metzger. Sogar beim Gemüsestand habe ich nachgefragt.«
»Was gibt es denn so Wichtiges?« Paul war neugierig geworden.
Jasmin sah ihn ehrlich erstaunt an.
Es war ein etwas naiver Blick mit geneigtem Kopf und großen Augen. Paul empfand es als sehr angenehm, die schlagfertige Jasmin einmal sprachlos zu erleben.
»Also?«, hakte er mit einem Lächeln nach.
»Also – na ja«, druckste Jasmin herum.
Wollte sie ihn vielleicht einfach nur Wiedersehen?, kam es Paul in den Sinn. Wollte sie sich erkundigen, wie es ihm ging und ob seine Erinnerungen inzwischen zurückgekehrt waren? Paul sah sie angenehm berührt an.
Dann fiel Jasmins Blick auf die aufgeschlagene Zeitung. Sie tippte mit dem Zeigefinger auf den Artikel, den Paul gerade gelesen hatte und sagte: »Damit haben wir meinen Kollegen eine harte Nuss zum Knacken gegeben.« Sie lächelte ein wenig boshaft, als sie ausführte: »In dem Versorgungsschacht wurde jede Menge technischer Schnickschnack sichergestellt. Die komplette Hardware für den großen Lauschangriff. Aber es gab nicht den kleinsten Anhaltspunkt auf denjenigen, dem der ganze Krempel gehört.«
»Das habe ich mir gedacht«, sagte Paul und war ein wenig enttäuscht, dass Jasmin gleich auf das Thema Lochgefängnis gekommen war.
»Außerdem waren die Meisterdiebe von Nürnberg wohl noch nicht fertig mit ihren Vorbereitungen«, verriet Jasmin.
»Wieso das?«, fragte Paul.
»Die Anlagen in dem Schacht bildeten zwar einen guten Grundstock, aber die Schnittstellen endeten vorm Ausstellungsraum. Es gab also noch einiges zu tun für den großen Coup.«
»Verstehe ich nicht.«
»Tröste dich: Wir auch nicht.«
Paul kratzte sich an den Bartstoppeln. »Wann wurden die ganzen Kabel eurer Meinung nach denn gezogen?«
»Das ist schwer
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