Paul Flemming 04 - Die Meisterdiebe von Nürnberg
zu sagen. Die Kollegen gehen davon aus, dass die Anlagen schon einige Zeit vor Ausstellungsbeginn eingebaut wurden, als die Sicherheitsmaßnahmen noch nicht griffen.«
»Dann hätten sie ihr heimliches Überwachungssystem doch auch fertig stellen können«, meinte Paul.
»Vielleicht ist ihnen die Zeit ausgegangen«, mutmaßte Jasmin. »Aber zerbrich dir darüber nicht den Kopf. Meine Kollegen sind in solchen Angelegenheiten schwer auf Zack. Früher oder später werden wir all diese Fragen beantworten können.«
Paul winkte der Kellnerin, um für Jasmin ebenfalls einen Cappuccino zu bestellen.
Ihr Gespräch kam dann sehr schnell auf den Metallurgenkongress. Auch Jasmin hatte von der Absage für die Untersuchung der Heiligen Lanze gehört.
»Dafür habe ich vollstes Verständnis«, sagte sie resolut.
»Aber eine solche Untersuchung hätte wertvolle Erkenntnisse liefern können«, wandte Paul ein.
»Hast du eine Ahnung, was für einen Stress uns diese Ausstellung auch schon so bereitet? Allein für den Schutz des Transports der Lanze ins Laboratorium hätten wir eine Hundertschaft von der Bepo aus Bamberg anfordern müssen.«
»Bepo?«
»Die Bereitschaftspolizei«, erklärte Jasmin, »unsere jungen Prügelknaben und – damen.«
»Ich dachte, du als studierte Ingenieurin hättest ein wenig mehr Verständnis für die Belange der Wissenschaft«, wollte Paul sie aus der Reserve locken.
Tatsächlich zuckte Jasmin prompt mit dem linken Mundwinkel. »Klar wäre das für die Metallurgen wichtig. Aber der Sicherheitsapparat ist auch so schon groß genug. Je eher die Reichskleinodien wieder in der Schatzkammer der Wiener Hofburg sind, umso besser für uns.«
Eher aus einer spontanen Eingebung heraus, als dass er darüber nachgedacht hätte, griff Paul nach Jasmins Hand. »Würdest du mir einen Gefallen tun?«, fragte er.
Jasmin sah auf ihre Hand, dann auf Paul und wieder auf ihre Hand. Aber sie zog sie nicht weg. »Schon wieder einen Gefallen?«
Paul nickte. Er schilderte ihr seine Gedanken und berichtete von dem imaginären Puzzlespiel, zu dessen Teilen ganz offensichtlich die Heilige Lanze zählte. Schließlich bat er ganz konkret:
»Begleitest du mich auf den Metallurgenkongress? Ich könnte deinen Sachverstand sehr gut gebrauchen, um einige Wissenslücken über die Reichskleinodien zu schließen. Und vielleicht bekommst du dort ja sogar einen Hinweis auf die verhinderten Diebe.«
Jasmin sah ihn eine Weile an. Dann legte sie ihre zweite Hand auf die von Paul. »Es wird ja langsam zur Gewohnheit, dass ich dir einen Gefallen tue.« Sie lächelte. »Aber okay, ich bin dabei.«
Paul spürte die Wärme ihrer Hände. Er freute sich über ihre spontane Zusage. Aber er fragte sich allmählich, ob er für Jasmin, die er bislang einfach nur für eine fesche und kompetente junge Frau und willkommene Ablenkung von seinen Problemen mit Katinka gehalten hatte, nicht doch ein wenig mehr empfand.
29
Paul nahm die U-Bahn, während Jasmin sich nach Schichtende von einem Kollegen zum Treffpunkt fahren lassen wollte. Als die Bahn aus dem Untergrund auftauchte und er die Hochhäuser von Neuselsbrunn und Langwasser sah, machte er sich zum Aussteigen bereit.
Jasmin blickte ihn erwartungsfroh an, als er am verabredeten Treffpunkt vor Messehalle 2 eintraf. Sie war wie immer leger gekleidet, das rote Haar zerzaust. Was für ein Kontrast zu Katinka, durchfuhr es Paul. Und ehe er sich’s versah, umarmte ihn Jasmin zur Begrüßung.
»Gehen wir rein?«, fragte sie unternehmungslustig. Dann fügte sie etwas ernster hinzu: »Ich bin übrigens außer Dienst. Meine Marke und Dienstwaffe habe ich nicht dabei.«
»Ist wohl auch besser so«, sagte Paul augenzwinkernd.
Sie betraten die Messehalle und waren zunächst einmal überrascht. Die große Halle war bestuhlt, am anderen Ende war ein breites Podium aufgebaut worden. Auf einer Leinwand wurde eine Powerpointpräsentation gezeigt, und ein einzelner Mann auf dem Podium gab dazu Erklärungen ab, die wegen seiner leisen Fistelstimme hinten im Saal kaum zu verstehen waren. Die Zuhörer waren entweder in Gespräche vertieft oder aber gerade dabei, ihre mitgebrachte Brotzeit zu verspeisen.
»Unter wissenschaftlicher Arbeit habe ich mir etwas anderes vorgestellt«, raunte Paul Jasmin zu.
»Bei uns im Hörsaal sah es oft ähnlich aus«, sagte sie und stieß Paul an. »Suchen wir uns einen Gesprächspartner!«
Sie setzten sich auf halbem Weg zum Podium neben eine ältere Dame mit grauem Dutt.
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