Paul Flemming 07 - Die Paten vom Knoblauchsland
näher trat, bemerkte er, dass sich der obere linke Bildrand vom Untergrund zu lösen begann. Sollte das die Antwort der Mokkabraunen sein? Er schüttelte den Kopf und musste über sich selbst lachen. Er würde das Poster bei Gelegenheit wieder anleimen müssen.
Kaum hatte sich Paul seinen Kaffee eingeschenkt, klingelte es an der Wohnungstür. Katinka hatte wohl alles stehen und liegen lassen, um zu ihm zu kommen, vermutete er. Er machte sich auf eine weitere heftige Standpauke gefasst, als er die Tür öffnete.
Doch anstelle seiner Frau huschte eine schlanke Gestalt in verwaschenen Jeans und mit einem tief ins Gesicht gezogenen Kapuzen-Sweatshirt herein.
»Jasmin?«, fragte Paul bass erstaunt.
Die Kriminalbeamtin wartete, bis Paul die Tür wieder geschlossen hatte, bevor sie die Kapuze herunterzog und ihr kurzes, rötlich-blondes Haar und ihr spitzbübisches, von Sommersprossen übersätes Gesicht zum Vorschein kam.
»Jepp«, meinte Kommissarin Jasmin Stahl, ging zielstrebig auf Pauls Küchenzeile zu und stellte sich an den Kaffeautomaten. Wahrend sie einen Espresso herausließ, erklärte sie: »Ich muss unbedingt für ein paar Minuten bei dir abtauchen. Mein Chef treibt mich in die Verzweiflung.«
»Lass hören«, forderte Paul sie auf und schielte auf die Uhr. Wie viel Zeit wohl blieb, bis Katinka auftauchte?
»Schnelleisen! Winfried Schnelleisen«, stöhnte die drahtige Polizistin. »Dieser Mann bringt mich um den Verstand. Jeden Tag, jede Stunde, jede Minute trauere ich Konrad Keller nach, seinem Vorgänger. Der steht ja kurz vor der Pensionierung und zieht sich mehr und mehr zurück. Keller war streng und konservativ - aber er hatte es drauf. Man konnte zu ihm aufsehen und viel von ihm lernen. Dieser Schnelleisen dagegen...« Sie stöhnte abermals.
Paul lehnte sich neben Jasmin an die Theke, die seine offene Küche vom Atelier trennte. »Bringt er die Sache wohl nicht voran?«, tastete sich Paul vor.
Jasmin schüttelte vehement den Kopf. »Überhaupt nicht! Im Gegenteil: Er stochert im Nebel wie ein Anfänger, deutet die Ergebnisse der Spusi jede Stunde anders und hat nicht mal ansatzweise einen Plan, geschweige denn ein ungefähres Täterprofil.«
»Es ist ja auch nicht so einfach, wenn ihr vom Täter nichts habt als ein paar Faserspuren, ein einzelnes Haar und Abdrücke seines Rads.«
»Aber das ist doch ein guter Ansatz!«, brauste Jasmin auf. »Unsere Jungs müssten längst dabei sein, die Fahrradschuppen der benachbarten Höfe zu durchstöbern und Gipsabdrücke der Reifen zu nehmen.«
»Vielleicht meint Schnelleisen, dass das vertane Zeit wäre, weil er davon ausgeht, dass der Radfahrer nicht in der Nähe wohnt«, gab Paul zu bedenken.
»Warum nimmst du ihn denn auch noch in Schutz?« Sie warf ihm einen argwöhnischen Blick zu. »Außerdem ist das Quatsch, denn die Erfahrung sagt, dass Sexualtäter - die meisten Gewalttäter, wenn man’s genau nimmt - meistens aus dem engeren Umfeld der Opfer stammen. Ich stelle mir das so vor: Frieda schlendert über den Feldweg, ein alter Bekannter überholt sie auf seinem Rad. Frieda grüßt freundlich, vielleicht aus der Sicht des Radlers zu freundlich. Er nimmt das als Aufforderung, sich über sie herzumachen.«
»Klingt fast zu einfach, um wahr zu sein«, meinte Paul.
»Ich sage dir eins, Paul: Die allermeisten Fälle sind so simpel aufgebaut. Als Ermittler denkt man oft viel zu kompliziert.«
»Wenn du meinst...« Paul nahm einen Schluck aus seinem Kaffeebecher. »Aber außer blanker Theorie habt ihr bislang nichts in der Hand, oder? Zeugen haben sich nicht gemeldet?«
»Leider nein.« Sie zog die Stirn in Falten, als sie meinte: »Die Presse scheint beinahe mehr zu wissen als wir...«
Paul sah sich fast schon genötigt, sich abermals zu rechtfertigen, aber Jasmin ritt nicht weiter auf diesem Punkt herum, sondern berichtete Paul von den unergiebigen Gesprächen mit dem Vater der Verstorbenen. Sie beschrieb Bruns als Querschädel, der nicht das geringste Interesse an den Tag legte, den Mord oder Totschlag an seiner Tochter aufzuklären und einen Täter dingfest zu machen. Stattdessen stehe im Mittelpunkt seines Denkens sein Sohn Tobias, den er abschotte und den er wohl am liebsten auf eine lange Reise in ein fernes Land schicken würde.
»Eigenartig«, kommentierte Paul. »Mir ist auch schon zu Ohren gekommen, dass Bruns seinen Sohn lieber heute als morgen loswerden würde. Das geht so weit, dass der Junge sogar seinen Erlanger Studienplatz
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