Paul Flemming 07 - Die Paten vom Knoblauchsland
besonderen Anspannung. Jeder Richter wird das anerkennen und mildernd in sein Urteil einfließen lassen.«
Allmählich gelang es Paul gemeinsam mit Tobias, den alten Bruns zu besänftigen. Mit gesenktem Kopf saß der Bauer ihnen gegenüber auf einem einfachen hölzernen Schemel.
»Gut. Ich gebe mich geschlagen. Ich weiß nicht, ob es richtig ist nachzugeben, aber ich will auf Sie hören«, sagte er mit gebrochener Stimme.
»Das ist kein Aufgeben«, tröstete Paul. »Es hat eben wenig Sinn, immer nur mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen.«
»So bin ich nun mal.«
»Das ehrt Sie ja auch, wenn Sie so für Ihren Sohn kämpfen. Aber glauben Sie mir: Am Ende ist es für alle besser, wenn Sie beide mit den Behörden kooperieren.«
Sie kamen darin überein, dass sich Tobias aus freien Stücken stellen und künftig nichts mehr gegen Deuerlein unternehmen würde.
»Es wäre ja eh zwecklos weiterzumachen«, meinte Bruns niedergeschlagen. »Deuerlein hat gewonnen, ich habe keine Lust mehr, mich zu plagen und zu ärgern.« Er sah seinen Sohn aus müden Augen an. »Ich werde verkaufen, Tobias. Für einen Teil des Geldes suche ich mir eine kleine Wohnung. Den Rest bekommst du.«
»Papa!« Tobias wurde blass. »Du darfst den Kampf nicht aufgeben! Der Hof ist dein Ein und Alles!«
Bruns senkte erneut den Blick. »Nein. Mein Ein und Alles, das waren Frieda - und du.«
Als Paul ging und die beiden mit ihren Sorgen, Nöten und Bürden allein ließ, konnte er sich des Gefühls nicht erwehren, dass ihm trotz des langen und klärenden Gesprächs etwas Wichtiges entgangen war.
Beim Verlassen des Bauernhauses kam er an einer rustikalen Anrichte vorbei, auf der nicht weniger als vier gerahmte Fotos von Frieda standen. Aus der Art der Ausleuchtung und des Hintergrunds schloss Paul, dass es sich um professionelle Aufnahmen aus einem Fotostudio handelte. Die Bilder zeigten Frieda in einem grauen, schulterfreien Shirt, auf zweien trug sie eine flotte schwarze Lederjacke darüber, auf einem anderen einen neckischen, grau-weiß gestreiften Trilby-Hut, unter dem ihre feingelockten, fuchsroten Haare hervorquollen. Paul verharrte einen Moment vor den Bildern und stellte fest, wie anmutig Frieda auf den Fotos herüberkam. Ihr schmales, zartgeschnittenes Gesicht hatte engelhafte Züge, die gerade Nase, der vornehm kleine Mund und die feinen Bögen ihrer Brauen verstärkten diesen Eindruck. Am meisten faszinierten Paul ihre Augen, deren Farbe sich wohl am ehesten mit der von Bernstein vergleichen ließ.
Auf einem der Bilder, auf dem Frieda die Lederjacke trug, hatte sie eine besonders forsche Pose eingenommen: Den Oberkörper nach vom gebeugt, die Arme angewinkelt und die Hände in die Hüften gestemmt, sah sie direkt in die Kamera. Ihr Blick wirkte aufgeweckt und neugierig, lebenshungrig und energisch. Eine auffallend hübsche und adrette junge Frau, die so gar nichts von der dickschädeligen Art ihres Vaters zu haben schien, dachte Paul.
Er riss sich von der Fotogalerie los, verließ das Bauernhaus und stieg in seinen Renault. Geistesabwesend fuhr er los.
Während der Fahrt ließ er sich die Unterhaltung mit Vater und Sohn noch einmal durch den Kopf gehen, wobei auch immer wieder die Bilder der Verstorbenen vor seinem geistigen Auge auftauchten.
Er stand bereits an der Ampelkreuzung zur Erlanger Straße, als ihm ein Teil des Gesprächs bewusst wurde, der ihn im Nachhinein stutzig machte: nämlich der Moment, in dem Tobias von Graffitis und zerbrochenen Scheiben geredet hatte und von seinem Vater augenblicklich zurückgepfiffen worden war. Denn damit habe Tobias nichts zu tun gehabt, meinte der Senior. Nun fragte sich Paul, wer es denn dann gewesen war, der mit Sprayflasche und Pflastersteinen auf Deuerleins Gewächshäuser losgegangen war. Der alte Bruns selbst? Wohl kaum. Schon eher ... - seine Tochter Frieda!
Kaum hatte Paul diesen Gedanken zu Ende gesponnen, wurde ihm die Tragweite seiner Erkenntnis bewusst: Wenn Frieda tatsächlich für den Hof ihres Vater gekämpft hatte und dem anmaßenden Nachbarn mit den Methoden der Stadtguerilla auf den Leib gerückt war, musste das Deuerlein gestört haben. Mehr als das: Wenn er Deuerlein richtig einschätzte, hätte er sich Angriffe dieser Art nicht lange bieten lassen. Er hätte die Bruns-Kinder unverzüglich angezeigt, sobald er ihnen auf die Schliche gekommen wäre. Oder aber ... - Paul wog ab, ob Deuerlein die nötige Skrupellosigkeit besäße, zu härteren Methoden zu greifen. Etwa
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