Paul Flemming 07 - Die Paten vom Knoblauchsland
waren. Denn die Selbsttötung ist eine Todsünde. Bei einem Suizid vor dem Hintergrund einer tödlichen Krankheit schaut es zwar anders aus, gerade wenn dieser Entschluss mit den Angehörigen besprochen war, reflektiert und selbstbestimmt, um würdig zu sterben.«
»Auch ich hätte damit keine theologischen Schwierigkeiten und würde meine Hauptaufgabe darin sehen, die Angehörigen zu stärken, Schuldgefühle zu mindern, aber nie die Person aburteilen«, ergänzte Fink.
Paul lag es auf der Zunge, nach dem Aber zu fragen. Denn irgendein Detail verheimlichten ihm die beiden noch immer.
Scholz nahm es ihm ab, weiter nachzubohren, indem er Fink zu verstehen gab, er möge den Rückweg allein antreten: »Geh schon mal vor, Hannes. Wir kommen gleich hinterher.« Fink gehorchte ihm ohne den Ansatz eines Widerworts. Kaum waren sie unter sich, ließ Scholz seine knochige Hand in der Innentasche seines Jankers verschwinden und förderte ein ausgeblichenes Kuvert zutage. Er streckte es Paul entgegen und ließ ihm Zeit, den Inhalt des Briefes in Ruhe zu studieren.
Als Paul geendet hatte und ihn fassungslos ansah, erklärte Scholz: »Ich stehe im Gegensatz zum Kollegen Fink nicht mehr im Dienst der Kirche. Zwar erlöschen damit nicht all meine Verpflichtungen, aber ich fühle mich nicht länger imstande, dieses Geheimnis zu wahren. Nehmen Sie den Brief an sich, junger Mann. Möge er dazu beitragen, weiteres Unheil abzuwenden.«
21
Paul fing Katinka vor dem Justizpalast in der Fürther Straße ab und riss sie aus einem Gespräch mit einem graumelierten Anzugträger, dem Anschein nach ein Strafverteidiger.
»Ich muss dich unbedingt sprechen!«, rief er und rüttelte sie am Arm.
»Das tust du ja jetzt«, sagte Katinka leicht verärgert, entschuldigte sich bei ihrem Gesprächspartner und entfernte sich gemeinsam mit Paul in Richtung der Mitarbeiterparkplätze. »Das muss ja eine bombenwichtige Botschaft sein, die du mir überbringen willst. Ein neuer Hausbauvorschlag deiner Eltern?«
Paul drückte ihr den Brief in die Hand, den ihm Altpfarrer Scholz überlassen hatte. »Hier! Lies!«
Katinka sah ihn kurz fragend an, öffnete den Umschlag und überflog das knapp zweiseitige Schreiben. Ihr Gesicht war aschfahl, als sie fragte: »Irmgard Bruns war Friedas Mutter?«
Paul nickte. »Ja, dies ist ihr Abschiedsbrief. Ihr früherer Pfarrer hat ihn mir überlassen.«
»Diese Frau hat also Selbstmord begangen«, folgerte Katinka und nagte an ihrer Unterlippe.
»Ja, doch keineswegs wegen einer schweren Erkrankung, wie es aller Welt glauben gemacht werden sollte. Sondern weil sie die Schmach nicht ertragen hatte, ein uneheliches Kind auf die Welt gebracht zu haben.«
Katinka führte ihre rechte Hand an den Kopf und tippte sich an die Schläfe. »Verstehe ich das richtig? Irmgard Bruns betrog ihren Mann Wilhelm mit einem Unbekannten, ließ sich von ihrem Liebhaber schwängern und brachte Frieda zur Welt. Ihr Mann kam ihr auf die Schliche, machte ihr die Hölle heiß und trieb sie letztendlich in den Selbstmord.«
»Genau so lassen sich die Zeilen dieses Briefes interpretieren«, bestätigte Paul. »Der arme Pfarrer Scholz muss schwere Kämpfe mit sich selbst ausgefochten haben, um dieses schmutzige Familiengeheimnis so viele Jahre für sich behalten zu können.«
»Frieda, das Kuckuckskind«, sagte Katinka grüblerisch. »Eines, das Wilhelm Bruns womöglich schon lange ein Dorn im Auge war, ihm auf der Tasche lag und am Ende auch noch selbst schwanger wurde. Das könnte zu viel gewesen sein für einen einfach gestrickten Mann. Die Schwangerschaft als Auslöser für eine Tat im Affekt: ein Stoß, ein Schubs, ein Schlag, um sich der ungeliebten Stieftochter ein für allemal zu entledigen. So kann es gewesen sein!«
Paul sah sie ernst an. »Wilhelm Bruns - ist er unser Mörder?«
»Mein lieber Paul«, wich Katinka dieser direkten Frage aus. »Ich bin Staatsanwältin und wäre schlecht beraten, wenn ich jede neue Mutmaßung sofort als Gewissheit nehmen würde.« Leise und trotzdem sehr bestimmt fügte sie hinzu: »Aber er hat das stärkste Motiv. Wir müssen uns darum kümmern.«
Katinka hatte nun einiges zu tun und musste Schnelleisen Beine machen, um abermals Verhöre durchzuführen und nach Beweisen zu fahnden. Daher nahm Paul es ihr nicht übel, dass sie ihn einfach so stehen ließ, ohne ein Wort des Dankes, einen Abschiedskuss oder sonst eine nette Geste. Keine Zeit für Nebensächlichkeiten dieser Art - so war seine Katinka
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