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Paul, mein grosser Bruder

Paul, mein grosser Bruder

Titel: Paul, mein grosser Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hakan Lindquist
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»Natürlich erinnere ich mich«, murmelte er.
    »Ich hatte es schon fast vergessen«, sagte Mama und wischte sich die Tränen weg. »Und auf einmal ... irgendwas ließ mich wieder daran denken. Merkwürdig. Vielleicht, weil Jonas von seinem Traum erzählte. Nun ja. Es geht wieder. Ich war nur etwas betrübt .«
    »Bist du sicher ?« , fragte Papa. Und Mama lächelte.
    »Ja, ja. Es geht schon wieder, danke .«

VIER
    Einige Wochen später habe ich wieder von dir geträumt.
     
    Ich wanderte durch eine Landschaft mit merkwürdig dumpfen Farben. Und obwohl ich mich überhaupt nicht auskannte, wusste ich, dass der Weg zu einem Hausführen würde, das ich noch nicht sehen konnte, ein Haus, in dem ich noch nie gewesen war. Dann - plötzlich - stand ich davor; das Haus war groß und grau. Aber die Fenster glänzten in allen Farben des Regenbogens. Wie die Fenster einer südeuropäischen Kathedrale.
    Ich klopfte an die Tür. Paul öffnete.
    »Hallo Jonas«, sagte er lächelnd. »Ich bin gerade am Malen. Komm herein !«
    Ich folgte ihm eine Treppe hinauf und durch einen langen Flur.
    Paul öffnete die Flügeltüren am Ende des Korridors. Wir traten in einen großen Saal. Die Fenster waren unglaublich hoch, und ich konnte die Decke kaum erkennen.
    Der Saal war im Großen und Ganzen leer. Aber in einer Ecke balancierte ein nackter Junge auf einem Hocker. Vor ihm stand eine Staffelei.
    »Komm«, sagte Paul und er griff meine Hand. Wir gingen zur Staffelei. Paul zeigte auf sein Gemälde. »Gefällt es dir ?« , fragte er.
    Ich betrachte das Gemälde. Aber die Farben standen nicht still. Die Pinselstriche schienen sich immer noch auf der Leinwand zu bewegen, als ob sie sich nicht entscheiden könnten; die Linien wechselten permanent ihre Form und die Farben ihre Nuance.
    »Ich weiß nicht«, antwortete ich.
    Der nackte Junge war vom Hocker heruntergestiegen und hatte sich neben meinen Bruder gestellt. Seine Augen waren seltsam dunkel.
    Er stellte sich vor meinen Bruder und streckte seine Hände aus; er betastete mit seinen Händen Pauls Haar, Stirn, Augen und Nase. Seine Finger folgten der Form von Pauls Lippen. Dann senkte er seine Arme und streichelte mit seinen Händen über Pauls Brustkorb und weiter über seine Hüften.
    Paul lachte. Ich schaute.
    Der andere Junge fuhr fort, über Pauls Körper zu tasten. Seine dunklen Augen waren weit geöffnet, trotzdem schien er seinen Blick nicht zu fixieren.
    »Ich verstehe«, sagte ich.
    Paul öffnete seine Augen und sah mich an. Er lächelte. »Was verstehst du ?« , fragte er.
    »Dieser Junge versucht sich mit seinen Händen ein Bild von dir zu machen«, sagte ich. »Er muss seine Hände benutzen, weil er nicht sehen kann. Er ist blind .«
    Paul fing an zu lachen. Der andere Junge lachte ebenfalls. »Nein, Jonas«, sagte Paul. »Da liegst du falsch. Er ist überhaupt nicht blind. Du bist es, der blind ist. Du bist es, der nicht sehen kann .«
    Und dann wurde alles schwarz.
    Und ich erwachte.
     
    »Was für ein merkwürdiger Traum«, flüsterte ich vor mich hin.
    Ich stand auf und öffnete vorsichtig die Tür vom Kleiderschrank. Genauso vorsichtig holte ich das eine Fotoalbum hervor. Dann ging ich zum Bett zurück.
    Ich sah mir die Bilder von dem anderen Jungen an, der von irgendjemandem - wahrscheinlich von Paul-draußen in Kammarviken ein Jahr vor meiner Geburt fotografiert wurde. Ich betrachtete die beiden Bilder genau. Ja, es waren exakt dieselben dunklen Augen wie die des Jungen in meinem Traum. Es war derselbe Junge. Aber auf den Bildern konnte er sehen. Könnte es so sein, wie Paul im Traum gesagt hatte; dass ich derjenige bin, der nicht sehen kann? Dass ich derjenige bin, der blind ist?
    Was konnte ich in diesem Fall nicht sehen? Das Gemälde!
    Exakt. Das hatte ich nicht gesehen. Aber nein, das stimmt nicht. Ich sah das Gemälde doch. Auch wenn die Linien und Farben vor meinen Augen keine Geschlossenheit bildeten. Pauls Malerei offenbarte sich mir nicht. Oder war es so, dass das Motiv die ganze Zeit da, aber ich erblindet war?
    Ich versuchte, einen Anhaltspunkt in den Fotos zu finden. Aber ich war zu müde, und die Gedanken wirbelten in meinem Kopf umher. Meine Augen kehrten immer wieder zu den dunklen Augen des anderen zurück. Und zu meinem Bruder.
    Die Nachttischlampe war noch an. Das Fotoalbum glitt aus meinen Händen, ich schlief wieder ein,

FÜNF
    Während der folgenden achtzehn Monate dachte ich oft an dich, daran, was ich geträumt und was ich erzählt bekommen

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