Paul sucht eine Frau
ein Stück zurück an die Wand. Die anderen tun es ihm gleich und zwängen sich ebenfalls in der Ecke zusammen, damit sie vom Fahrstuhl aus nicht gesehen werden können.
Sie hören Schritte und dann das Ertönen einer Klingel, gedämpft durch die geschlossene Tür. Einen Moment später ist ein lautes Quietschen zu vernehmen.
»Warum benutzt du nicht deinen Schlüssel?«
Das ist Martins Stimme.
»Ich muss mit dir reden.«
Lara.
»Wo warst du heute Nacht?«
In der Ecke wird es langsam ungemütlich. Jenny hängt schief über den drei Rollstühlen. Die Räder von Pauls Rollstuhl, der am nächsten zum Vorsprung steht, fangen an sich zu bewegen. Paul versucht, an den Bremshebel zu gelangen, um sie festzustellen.
Aber ihm fehlen ein oder zwei Zentimeter. Er kann den Arm nicht ausstrecken, weil Jennys linkes Bein zwischen seinem Schoß und Harrys Rollstuhl klemmt.
»Ich weiß gar nicht, wie ich anfangen soll«, sagt Lara. »Mit uns beiden – also – das läuft schon lange nicht mehr rund ...«
»Wow«, flüstert Nico. »Sieht aus, als hätten wir einen super Moment abgepasst.«
»Psst«, zischt Harry.
Dann macht es einen Knall. Was auch immer genau passiert ist, kann Paul schlecht nachvollziehen. Wahrscheinlich ist Jennys linkes Bein gegen Harry geknallt. Oder sie hat sich mit ihren Händen in seinen Radspeichen verfangen und versucht die Finger zu befreien. Jedenfalls rollt sein Stuhl mit viel Schwung rückwärts. Mitten in den Flur. Jenny fällt neben Paul zu Boden.
Lara und Martin kommen ein paar Schritte auf sie zu und bleiben abrupt stehen. Von ihrer neuen Position sehen sie sicher auch Harry und Nico.
»Und was ist das jetzt?«, fragt Martin. »Aufstand der Rollstuhl-Krieger?«
»Was macht ihr hier?«, fragt Lara. »Paul?«
Paul versucht, ihrem Blick auszuweichen. Er sieht zu Boden, aber das macht auch keinen Sinn mehr.
»Äh«, sagt er. Was soll er sonst antworten? Gibt es überhaupt etwas Sinnvolles, was jemand in einer solchen Situation sagen könnte?
»Wir wollten nur einen kleinen Ausflug unternehmen«, sagt Nico.
»Einen Ausflug?«
»Ja, Paul wollte uns mal zeigen, wo du wohnst. Weil er dich doch so vermisst seit heute Morgen.«
Lara macht einen Schritt auf Paul zu und beugt sich zu ihm herunter.
»Du hast dem aber nicht von gestern Abend erzählt. Oder?«, flüstert sie.
»Äh ...«
»Was gibt’s da zu flüstern«, sagt Martin.
Dann sieht Martin zu Harry.
»Sag mal. Dich kenn ich doch auch irgendwo her.«
Harry zieht die Sonnenbrille ab.
»Sehr richtig. Ich bin dir in den letzten Tagen gefolgt. Na, was sagst du nun Freundchen?«
»Ja und?«
»Wärst du vielleicht so nett uns zu erklären, wer die süße Südländerin war, bei der du neulich für eine Stunde in der Wohnung verschwunden bist?«
Martin entgegnet nichts. Paul versucht, den Gesichtsausdruck von Laras Freund zu deuten. Sieht er da tatsächlich ein Ausdruck von Entsetzen in Martins Mimik?
»Siehste«, sagt Nico. »Jetzt ist er sprachlos. Ich werte das mal als Schuldgeständnis.«
»Aber das ist doch Blödsinn«, sagt Martin. »Das war nur eine Bekannte.«
Lara sieht zu Nico. Ihr Blick ist eiskalt.
»Was denn?«, sagt Nico. »Ich hab nichts angestellt.«
Lara wendet sich zu Paul. Wieder versucht er ihr Mienenspiel zu deuten. Wenn er sich festlegen müsste, würde er aus ihrem Blick etwas herauslesen wie: »Warum baust du so einen Mist?«
Doch was hat er getan? Wenn er nur Rückgrat hätte, dann würde er nun alles erklären. Die Situation retten.
Stattdessen spürt Paul wie Übelkeit in seinem Rachen aufsteigt und er merkt, wie ihm heiß und kalt wird. Am liebsten würde er sich einen Sack über den Kopf ziehen oder ganz einfach verschwinden. Oder nie geboren sein. Das wär's.
»Schluss jetzt!«, ruft Lara. »Haut alle ab. Ich will allein sein.«
»Komischer Haufen«, sagt Martin.
Lara dreht sich zu ihm: »Du auch!«
»Wieso? Das war nur Marie. Du kennst sie ...«
»Marie! Du Arsch!«
Lara macht auf dem Absatz kehrt und läuft mit lauten Schritten davon. Diesmal nimmt sie die Treppe. Jenny blickt zu Nico und schüttelt den Kopf.
»Was denn?«, sagt er.
»Ich hab eure Scheiße so satt«, sagt Jenny.
21
Die Sonne geht über der weiten Steppe unter.
Von irgendwo her dröhnt ein schrilles Geheul. Das sind die Kojoten.
Das Grüne Meerkatzen-Männchen setzt sich auf den Boden und rollt sich zusammen. Nicht einmal ein Baum weit und breit, auf den es sich retten könnte. Flucht macht keinen Sinn. Nach
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