Paul sucht eine Frau
Hilfe rufen kann es nicht. Denn da ist niemand, der es hören könnte. Das Einzige, was dem Affen übrigbleibt, ist, sich zusammenzukauern und zu hoffen, dass es die Nacht übersteht.
Paul liegt auf seinem Bett und starrt an die Decke. Er weiß jetzt, wie sich ein Meerkatzen-Männchen fühlt, das von seiner Gruppe verstoßen wurde.
Lara ist untergetaucht. Sie geht nicht ran, wenn er sie anruft, antwortet nicht auf seine Textnachrichten.
»So, Paul.«
Es ist die Stimme von Martha. Paul dreht sich nicht zu ihr um. Es reicht ihm, dass er ihre Schritte auf seinem Schlafzimmer-Parkett hört. Martha die Unbestechliche, die Matrone mit gefühlten hundert Jahren Erfahrung in der Rollstuhl-Assistenz. Martha, die Springerin, die immer dann geschickt wird, wenn bei Hilfe zum Leben ein Assistent ausfällt. Martha, die jede Situation meistert. Was leider nicht für Pauls Gefühlsleben gilt.
»Mach die Hose auf, Junge, und dreh dich auf den Bauch.«
Paul tut wie ihm geheißen. Während er sich umdreht, hört Paul, das Klatschen der Einweghandschuhe, die Martha überstreift.
»Zeit für dein Zäpfchen«, sagt Martha.
In ihrer Stimme schwingt Begeisterung mit. Macht sie das gerne? Paul hat sie nicht mal um die Zäpfchen gebeten. Aber Martha weiß alles besser als er. Eigentlich ist er doch der Chef. Müsste sie nicht machen, was er ihr sagt?
»Glaub mir, Junge«, pflegt sie zu sagen. »Ich weiß, was gut für dich ist.«
Kein »Aber!« von Paul hilft.
»Und nicht wieder so anstellen«, sagt sie nun.
Warum kann Lara jetzt nicht hier sein?
* * *
Lara sitzt im Morgenmantel an Henrikes Küchentisch.
Vor ihr steht ihr MacBook, auf dem sie vor ein paar Tagen ein Schnittprogramm installiert hat. Das Rohmaterial hat sie auf eine externe Festplatte überspielt, die sie an den Laptop angeschlossen hat. Ihr Ziel: Wenigstens den Film fertig zu schneiden, solange sie untergetaucht ist.
Henrike hat sich in den letzten Tagen als ihr Engel in der Not erwiesen und sie in ihrer Wohnung auf der Couch schlafen lassen. Sie hat ihre Launen ertragen und köpft mit ihr jeden Abend eine Flasche Rotwein.
Jetzt wäre es nur fair, wenn Lara Henrikes Gastfreundschaft nicht ausnutzen würde und fleißig am Film weiterarbeiten würde. Doch Lara kann sich nicht konzentrieren. Immer wieder sieht sie sich dieselben Clips des Rohmaterials an – Paul und seine Affen, Paul beim Rugby – Paul, der ihr von seinen Lebensträumen erzählt. Wie um alles in der Welt soll sie daraus einen Film schneiden?
Was Paul gerade macht? Nein. Sie darf nicht länger an ihn denken. Zumindest nicht an den echten Paul. Vor ihr bewegt sich der Film-Paul auf dem Bildschirm. Ihm muss sie sich die nächsten Tage widmen.
22
Pauls Mutter ruft an.
»Wann können wir bei dir vorbeikommen? Dein Vater ist ganz gespannt, deine Freundin endlich kennenzulernen.«
»Lara ist nicht meine Freundin.«
»Du brauchst mir nichts vormachen, Junge. Es muss dir nicht peinlich sein, dass ich sie bei dir in der Wohnung erwischt habe. Ich weiß selbst, dass ich etwas altmodisch bin, was das Zusammenwohnen vor der Ehe betrifft. Aber ich freue mich doch, dass überhaupt eine Frau bei dir übernachtet.«
»Sie ist nicht meine Freundin!«
»Warum bist du denn gleich wieder so gereizt? Du weißt, dass wir alle nur dein Bestes wollen. Warum machst du es uns so schwer, dir zu helfen?«
»Ich mache es euch schwer?«
»Natürlich. Ich will nur für dich da sein.«
»Ha«, sagt Paul. »Anstatt, dass du dich für mich freust, wenn ich etwas erreiche – wenn ich zum Beispiel in eine eigene Wohnung ziehe oder studiere – fragst du mich tausendmal, wann ich endlich zurück nach Hause ziehe. Und natürlich mache ich mir darüber Gedanken, was du sagst. Natürlich möchte ich dir gefallen. Dabei machst du es mir schwer, mein Leben auf eigenen Beinen zu leben!«
So. Nun ist es soweit. Jetzt hat er es endlich ausgesprochen!
Eine kurze Pause entsteht. Dann fragt seine Mutter: »Hat sie dich etwa verlassen? Ist das der Grund, warum du so schlecht gelaunt bist?«
»Ich muss los.«
* * *
»Guck mal. Ich habe dir eine Tröte mitgebracht.«
Nico zeigt zu Jenny, die eine bunte Vuvuzela hochhebt und gelangweilt hineinpustet. Felix blickt aus dem Fenster seines Zimmers.
»Wie soll ich die denn halten?«
»Oder diesen Schal. Damit kannst du uns anfeuern«, sagt Nico, der sich von Felix abweisender Art nicht abschrecken lässt.
Paul, der etwas abseits neben der Zimmertür sitzt,
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