Paula geht
er erlebt haben, dass er in diesem Alter schon so ernst aussah? Mit diesem Gedanken holten sie die Blicke vieler Kinder, von denen sie manche todkrank gesehen hatte, wieder ein. Sie schnaubte. Die Welt war einfach zu hart für diese kleinen Geschöpfe, die oft schon so viel verkraften mussten. Wenn sie jemals einem Gott persönlich gegenübertreten würde, wäre das das Erste, was sie ihm an den Kopf werfen würde.
Hinter ihr knarrte die Tür. Sie fuhr erschrocken herum. Da stand er, Bene, und sah sie erwartungsvoll an.
„He, was tust du hier, das ist mein Haus.“
„Ich weiß.“
„Du weißt aber viel heute“, knurrte Paula.
„Ich kann dir helfen.“
Paula schüttelte den Kopf. „Das hier ist keine Arbeit für Kinder. Schau dir diese Schweißflecken an.“ Sie hob Sie hob den Arm und wies mit der anderen Hand auf ihre Achsel. „Ich krieg‘s selbst kaum hin.“
„Ich will dir helfen.“
Paula seufzte. Sie hatte jetzt wirklich keinen Nerv, sich um ein Kind zu kümmern. „Nein, heute geht es wirklich nicht. Du kannst nächste Woche nochmal vorbeikommen, vielleicht finde ich dann etwas, das du tun kannst.“
Bene nickte und wirkte noch schmächtiger und verlorener, als er zur Tür stiefelte. „Tschüs, Paula, bis bald“, hörte sie ihn noch, bevor die Tür ins Schloss fiel.
Plötzlich war es leer im Raum.
Kapitel 15
Draußen war das schönste Maiwetter. Die Wiesenblumen blühten um die Wette, die Vögel sangen, als gäbe es kein Leid auf der Welt. Aber Paula ließ den Kopf hängen. Nach wie vor war sie überzeugt, dass sie richtig entschieden hatte. Aber warum war sie dann seit Tagen zu nichts zu gebrauchen? Sie konnte sich nicht aufrappeln, die anderen Räume im Obergeschoss anzugehen. Gerade blätterte sie lustlos im Buch „Homöopathie für Kinder“. Sie hatte sich vorgenommen, sich noch mehr mit der Konstitutionsbehandlung zu beschäftigen, bisher hatte sie ja hauptsächlich Akutbehandlungen bei ihren kleinen Patienten vorgenommen. Aber es gab eben auch Kinder, die nicht nur einen Schnupfen oder Bauchweh hatten, sondern denen sie besser mit einer längeren Behandlung bei ihren körperlichen oder seelischen Unausgeglichenheiten helfen könnte. Jetzt las sie den Absatz schon zum dritten Mal. Seufzend stand sie auf und reckte ihre verspannten Gliedmaßen. Die Küchenstühle waren auch nicht gerade ergonomisch geformt. Sie gab dem alten Holzgerippe einen wütenden Tritt.
Und wer hupte hier so aggressiv auf der Straße? Das war wirklich ungewöhnlich. In der Sackgasse gab es doch kaum Verkehr? Sie zog die Gardine des kleinen Zimmers nach vorne raus ein Stück zur Seite und musste schmunzeln. Da stand Sven vor ihrem Haus mit einer alten Harley und vollgepackten Satteltaschen. Sie hatte nicht mal gewusst, dass er Motorradfahrer war.
Sie öffnete das Fenster und rief ihm zu „Lang nicht mehr gesehen. Was hast du denn vor mit deiner Huddel?“
Sven schaute sie verständnislos an. „Huddel? Meinst du etwa dieses geile Gefährt, auf dem ich hier sitze? Da überlege ich mir mein Angebot doch gleich nochmal.“
„Du hast ein Angebot? Dann bin ich mal gespannt.“
Sven bockte das schwere Gerät auf und ging mit ausgestreckten Armen auf sie zu. Sie stand wie Rapunzel am Fenster. Warum musste sie immer lachen, wenn sie Sven sah?
„Darf ich Sie zu einer kleinen Spritzfahrt in den Spätfrühling einladen, junge Frau?“
„Ich weiß nicht, ich kann gar kein Motorrad fahren und weit gekommen bin ich auch noch nicht beim Lernen heute.“ Sie konnte ihre motzige Stimmung noch nicht ganz verabschieden. Aber natürlich wusste Paula sofort, dass der Tag heute doch noch gut werden könnte mit Sven und seinem Motorrad.
Sven grinste nur. „Zieh dir was Dickes an und wenn du hast Stiefel oder so. Und lass uns hier nicht so lange warten.“
Tja, da gab es wohl keine Widerrede. Und plötzlich hatte sie richtig Lust auf einen Ausflug. Seit Monaten saß sie hier fest auf dem Dorf, von gelegentlichen Busausflügen nach Penzlin und Neubrandenburg einmal abgesehen. Sie hatte noch kaum etwas von der Seenplatte gesehen, das war ja eigentlich nicht zu verantworten. Schnell kramte sie ein paar Sachen zusammen, stopfte einen Zwanzig-Euro-Schein in ihre Hosentasche, zog die Tür zu, warf den Ziegen ein paar Kartoffeln und Karotten hin und hüpfte die Stufen vor dem Haus hinunter wie Pepe.
Sven begrüßte sie mit einem Küsschen auf die Wange. „Endlich lachst du wieder, war ja nicht zum Aushalten mit dir die
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