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Pauschaltourist

Pauschaltourist

Titel: Pauschaltourist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Liehr
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einer Kamera umzusehen.
    »Der Mann könnte bewaffnet sein«, sagte ich leise.
    War er auch. Als er noch zwei Meter entfernt war, zog er ein Butterfly-Messer. Und was dann kam, hatte ich bisher
wirklich
ausschließlich in Filmen gesehen. Nur viel langsamer. Ger machte einen Schritt auf den Zuhälter zu und drosch ihm in einer
     so unglaublich schnellen Bewegung auf den Kehlkopf, dass ich aus purer Solidarität das Atmen vergaß. Die folgenden Aktionen
     des Holländers nahmen auch nicht viel mehr Zeit in Anspruch. Das Messer flog weg, der Gegner sackte zu Boden. Ger drehte sich
     mit einem entspannten Lächeln im Gesicht zu uns um, griff nach Nickys Hand und sagte: »Wir sollten noch irgendwo ein Bier
     zusammen trinken.« Der Mann auf dem Asphalt röchelte uns etwas hinterher, aber es war nicht zu verstehen. Wollte auch keiner.
     
    »Das müsst ihr nicht tun«, sagte Nicky unter Rührungstränen, als Nina ihr in einer riesigen und früher sicher mal sehr edlen
     Disco den Stapel Scheine zusteckte.
    »Ich hab das eben gewonnen«, sagte meine Kollegin, auf die ich in diesem Augenblick fast noch stolzer war als auf den schlagfertigen
     Holländer, der lächelnd an seiner Flasche Heineken nippte, als könne er keiner Amöbe was zuleide tun.
    »Und außerdem habt ihr uns das Leben gerettet«, ergänzte sie.
    »Ohne uns wärt ihr nicht ins Casino gegangen«, widersprach die kleine Frau. »Dann wär das auch nicht passiert.«
    »Halt einfach die Klappe«, sagte Nina und umarmte die niedliche Bald-Mutter.
    |261| Ger war Berufssoldat, wobei er zwar so gut wie nichts verdiente, aber jede Menge Nahkampftechniken erlernt hatte, darunter
     auch solche, die man außerhalb von Sporthallen anwandte. Ich gehörte zwar nicht zu den Gänseblümchen-Pazifisten, fand Krieg
     aber mindestens ebenso blöd und überflüssig wie Smalltalk, doch in diesem Moment war ich froher als froh, dass es solche Leute
     gab. Vor allem einen davon.
    Es wurde dann noch ein sehr netter Abend, und als wir uns verabschiedeten, ließ ich mir von Ger hoch und heilig schwören,
     dass er vor der Volljährigkeit seines Kindes kein Spielcasino mehr betreten würde.

|262| 4.
    Aus einer für mich selbst schwer verständlichen Laune heraus und um mitzuteilen, dass ich den Brief bekommen hatte, vielleicht
     aber auch nur, um ihr Bedürfnis nach harmonischer Ausgeglichenheit zu befriedigen, rief ich am nächsten Morgen vom Mobiltelefon
     aus bei Silke an. Das Telefon klingelte zehn, zwölf Mal, und ich wollte schon auflegen, als doch noch abgenommen wurde.
    »Bei Behr?«, sagte eine Männerstimme, die ich kannte.
    »Steini?«, stieß ich fassungslos hervor, wobei mir schlagartig eiskalt wurde. »Bist du das? STEINI?«
    Auf der anderen Seite blieb es still. Dann hörte ich Silke fragen: »Wer ist dran?«, anschließend erklangen die Geräusche,
     die Telefone erzeugen, wenn man die Hand über das Mikrofon legt. Das Wort »Gott« war sehr leise zu hören.
    »Ingo, du verkacktes, arschgeficktes, mieses Drecksauschwein!«, brüllte ich in meine alle Wut und Gemeinheit dieser Welt vereinende
     Tränenflut. Dann setzte ich mich gegen meinen Willen hin, auf den Nachttisch, von dem ich die Lampe auf den Boden schubste.
     Ich begann zu zittern, und mir wurde beinahe schwarz vor Augen. In diesen Zustand hinein sagte Silke etwas mit Gott und Leid
     und ähnlichen Dingen. Ich schmiss das Telefon von mir, schlang meine Arme um den Oberkörper und gab mich ganz dem Heulkrampf
     hin.
     
    Es dauerte mehr als eine halbe Stunde, bis ich wieder halbwegs klar denken konnte. Ich fühlte mich, als hätte sich die Zuhälter-Begegnung
     des vorigen Abends wiederholt – nur ohne einen rettenden Berufssoldaten. Nein, viel schlimmer. Ich war ohne jedes Vertrauen.
     Als hätte jemand diese Funktionalität aus mir herausgelöscht |263| und eine taube, sedierte Stelle hinterlassen. Man hatte mich verraten, doppelt sogar, und die Verräter waren die einzigen
     Menschen, die mir bis zu diesem Zeitpunkt etwas bedeutet hatten, das über familiäre Verpflichtungen hinausging. Nein, stellte
     ich dann mit dem nächsten Gedanken fest und bekam eine Gänsehaut: Ich hatte jetzt noch eine Freundin.
    Nina.
     
    Sie saß am Pool, Bimbo neben sich, und unterhielt sich mit der fülligen Aquapark-Praktikantin. Der Pudel hob die Schnauze
     vom Beton und gab ein Geräusch von sich, als ich auf die Terrasse trat. Nina drehte den Kopf zu mir, öffnete den Mund, schloss
     ihn aber gleich wieder. Statt etwas zu

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