Pauschaltourist
»befreiten«,
bekämen zwanzig Euro pro Foto, zwei Zeugenaussagen zur Bestätigung vorausgesetzt. Irgendwo zwischendrin fand ich die Namen
Nikolas Sender und Nina Blume. Zum Glück aber keine Bilder von uns.
»Sommerloch, oder?«, kommentierte Nina.
Heino Sitz deutete sein Pfeifen an, brach es aber gleich wieder ab. »Ihr habt etwas ausgelöst. Seit dem Erscheinen der letzten
Ausgabe brummt es hier.«
»BILD«, sagte Nina etwas mürrisch.
»Vorabdruck. Das war Leitmann.«
Party-Ralle strahlte. Ja, in diese Richtung hatte er Connections. Eigentlich arbeitete er für das falsche Blatt.
»Wie blöd ist das denn?«, fragte meine Reisepartnerin, und ich konnte nur nicken. Sitz’ Strahlen fiel in sich zusammen.
»Genau das wollten wir erreichen!«, donnerte er. »Wir sind ausverkauft, erstmals seit Jahren. Und es gibt tatsächlich eine
Bewegung. Schaut mal ins Internet. Auf Flickr häufen sich die Bilder von Touristen, die einander beim Liegenfreiräumen ablichten.
Tausende! |172| Es gibt Foren und zig Blogeinträge. Die ersten Veranstalter sind angesprungen und empfehlen ihren Kunden, es euch gleichzutun.
Selbstbewusster Pauschaltourismus! Und das ist erst der Anfang! Eure Namen sind zu Synonymen geworden.«
Das Strahlen war in sein Gesicht zurückgekehrt. Ich fand es derweil irgendwie blöd, Synonym zu sein.
Wir versammelten uns zur Konferenz, deren Gegenstand der zweite Bericht war, den ich am Abend zuvor überflogen hatte.
Koranische Ferse
lautete der originelle Titel, eine Abhandlung über die vergangene Woche, ziemlich pointiert und in der Hauptsache daran festgemacht,
wie islamische Länder allgemein und Marokko im Speziellen versuchen, Touristendevisen einzusammeln, ohne im Detail groß darauf
zu achten, ob Mohammed das okay fände. Tatsächlich hatte Nina ihr Erlebnis mit Jules in den Vordergrund gestellt, auf erstaunlich
subtile und selbstironische Art, ohne sich als handlungstragende Figur einzubringen, aber sie hatte auch Polizeiwillkür, verrottende
Unterkünfte und sogar Jackys Schicksal verarbeitet. Der Artikel war ziemlich klasse. Das fanden alle anderen auch.
»Auf diesem Niveau muss es weitergehen«, befahl Sitz abschließend. Ich sah zu Nina, der eine Antwort im Gesicht geschrieben
stand, die das entschieden verneinte, aber bevor sie diesen Gedanken äußern konnte, drückte uns der Chef Umschläge in die
Hand. »Schmerzensgeld«, sagte er grinsend. »Aber nicht übermütig werden, das ist für die kommenden Wochen gleich mit.«
Heilige Gepäckablage! Auf meinem Scheck stand eine Summe, die ich noch nie am Stück, durchgehend oder auf einmal besessen
hatte, und auch Ninas Gesichtsausdruck veränderte sich schlagartig. Sie sah erst zu mir und dann Sitz durchdringend an. Für
Sekundenbruchteile war es im Konferenzraum so still wie auf der Gebirgsstraße nach Mustafas Flucht.
Sie haben tatsächlich was miteinander
, dachte ich. Vermutlich war ich mit diesem Gedanken nicht alleine. Ralf Leitmann grinste, als bekäme er unter dem Tisch einen
geblasen.
|173| Sitz erhob sich und zuckte die Schultern. »Ich weiß, dass ihr da eine Höllentour hinlegt«, erklärte er und präsentierte seine
Zahnlücke. »Aber ihr schreibt Geschichte. Haltet durch!«
Steini war nicht zu erreichen, und mit Silke wollte ich nicht sprechen, noch nicht, wozu auch. Das nächtliche Telefonat kam
mir inzwischen unwirklich vor. Vielleicht wollte sie nur meine Hilfe bei irgendwas oder die Kontaktdaten von einem gemeinsamen
Bekannten oder, schlimmstenfalls, mir
erklären
, warum es so gekommen war, wie es gekommen war. Das wusste ich selbst. Wir hatten einander als selbstverständlich hingenommen
und aufgehört, uns zu bemühen – und dabei war die Liebe, dieses Arschloch, eingeschlafen, aus lauter Langeweile. Jeder Deppen-Partnerschaftsratgeber
konnte das erklären. Ja, es wird ihr schlechtes Gewissen gewesen sein, das sie gepackt hat, sagte ich mir. Wahrscheinlich
war ihr neuer Stecher unterwegs, und sie saß nachts bei Rotwein alleine vor der Glotze und sah die Wiederholung irgendeiner
Serie, bei der wir mal gemeinsam gelacht hatten. Silke war nicht der Typ, der sich einfach vom Acker machte, sie fühlte sich
immer genötigt, alle Seiten zu beleuchten, zu vermitteln, für Harmonie und Ausgleich zu sorgen. Sie hasste verbrannte Erde.
Manchmal, wenn sie einen Konkurrenten ausstach, rief sie den auch an, um ihn aufzumuntern, sich tatsächlich dafür zu entschuldigen,
dass
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