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Pauschaltourist

Pauschaltourist

Titel: Pauschaltourist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Liehr
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morgens.«
    »Das weiß ich. Ich versuche es seit zwei Stunden, gestern und vorgestern habe ich mir den ganzen Tag lang die Finger wundgewählt.
     Was ist los?«
    »Ich wollte meine Ruhe haben.« Ich rutschte fast vom Sitz, weil der Taxifahrer heftig gebremst hatte, obwohl vor uns nichts
     zu sehen war. Doch, in hundert Metern ein Baustellenschild. Immer machen lassen, dachte ich.
    »Ich muss mit dir reden. Wo bist du?«
    »Im Taxi auf dem Weg zum Flughafen. Wir fliegen in zwei Stunden nach Mallorca.«
    |180| Silke schwieg. Der Kopf des Chauffeurs neigte sich bedenklich in Richtung Lenkrad. Ich hoffte, dass er nicht einschlief –
     oder gerade das Zeitliche segnete.
    »Weißt du die Nummer des Gates?«, fragte sie.
    »Nee, keine Ahnung. Meine Kollegin hat die Infos. Was ist denn eigentlich los?«
    »Ich bin in zwanzig Minuten da. Bitte warte auf mich.«
    Dann legte sie auf.
     
    Nina sah erstaunlich fit aus, außerdem trug sie zum ersten Mal keine Wurstpellehosen, sondern Jeans, Top und ein recht neckisches
     Jäckchen. Die Schlange vor dem Schalter bestand nur noch aus einer Handvoll Leute, aber im Warteraum drängte man sich bereits
     vor der Tür des Einstiegtunnels. Meine Kollegin sah demonstrativ auf die Uhr.
    »Wir hatten fünf gesagt«, erklärte sie grinsend.
    »’tschuldigung. Der Taxifahrer war nicht von dieser Welt.« Tatsächlich hätte er es fast nicht fertiggebracht, mir eine Quittung
     auszustellen. Erst beim vierten Versuch war etwas dabei herausgekommen, das die Verlagsbuchhaltung möglicherweise akzeptieren
     würde. Nur der Betrag stand noch in der falschen Zeile, aber irgendwas ist ja immer.
    Wir checkten ein, und Nina drängte darauf, in den Warteraum zu gehen, um eine gute Ausgangsposition für den Gepäckablagekrieg
     einzunehmen. Ich erklärte ihr, dass ich noch jemanden treffen würde. Sie zog die Stirn kraus, nahm mein Handgepäck und tänzelte
     fast zur Durchsuchung. Ich wartete noch einen Moment und schickte Silke dann eine SMS mit der Nummer des Gates.
    Sie kam zehn Minuten später. Ich sah sie schon, als sie ihren Mini in zweiter Reihe vor dem Gate abstellte. Das war sehr …
     bizarr. Als sie ausstieg und der schwarze Kurzhaarschopf über dem Wagendach auftauchte, schrumpften meine inneren Organe in
     Sekundenschnelle auf die Hälfte ihrer Normalgröße. Dann entdeckte sie |181| mich, nickte kurz und eilte in Richtung Tür. Und plötzlich stand sie vor mir. Während der vergangenen Jahre war es mir oft
     passiert, dass ich versucht hatte, Silkes Gesicht zu visualisieren, aber es entstand immer nur eine diffuse Sieben-Jahre-Mischung
     ohne Konturen. Jetzt, in diesem Moment, hätte ich die Augen schließen und millimetergenau die Position jedes Leberflecks nennen
     können, von denen sie exakt elf klitzekleine im Gesicht hatte, davon fünf auf der linken und sechs auf der rechten Hälfte.
     Sie sah müde aus, aber da war noch etwas – Energie, ein starker Wille. Silke war nur sehr dezent geschminkt. Sie mochte das
     nicht. Sie sah schön aus.
    Dann umarmte sie mich. Ich ließ es geschehen. Dies war unser erstes Treffen nach der telefonischen Trennung. Eigentlich hätte
     ich ihr eine Szene machen müssen, aber es war Viertel nach fünf, und wir standen auf dem Flughafen Tegel zwischen Hunderten
     Urlaubern, die im Geiste bereits dabei waren, ihre Handtücher auszulegen. Ich hatte keine Lust auf Streit. Ich
freute
mich sogar, sie zu sehen. Heiliger Hühnerhabicht.
    »Lasse«, sagte sie und nahm meine Hand. »Es tut mir leid.«
    »Nenn mich nicht mehr so«, nörgelte ich. »Das war ein Kosename, und mit Kosen ist’s vorbei.« Es gefiel mir nicht, das zu sagen,
     aber es war die Wahrheit.
    Sie ließ meine Hand nicht los und lächelte. »Es tut mir wirklich leid. Aber ich wollte dich nicht im Ungewissen lassen.« Sie
     sah auf ihre eigenen Füße, Schuhgröße sechsunddreißig, der linke große Zeh war etwas kleiner als der rechte. Ich schüttelte
     den Kopf, aber die Situation veränderte sich nicht. Was zum Geier …
    Sie zog mich vom Schalter weg in Richtung Ausgang.
    »Wie viel Zeit hast du noch?«
    »Das Boarding beginnt um zwanzig vor sieben. Was willst du mir sagen? Was machst du hier?«
    Sie nickte und zog weiter an mir. Dann standen wir vor der Tür, in der lauen Junimorgenluft, durchzogen von Rauchschwaden,
     die von Last-Minute-Rauchern zu uns herüberwehten, und ich wusste |182| nicht, was ich fühlen sollte. Also zündete ich mir eine Zigarette an. Auf diesem Charterflug gab

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