Pauschaltourist
wahrscheinlich keinem Vergleich mit der Mühe standhielt,
die ich damit gehabt hatte, diesen Vortrag zu halten, Silke faktisch freizugeben, die Trennung zu vollenden. »Dann ist es
ja gut«, sagte sie leise, griff in meine Richtung, hielt aber in der Bewegung inne; ihre Hand sank wieder herab. »Ich wünsch
dir eine gute Reise.«
Ich blieb sitzen und hielt alle Körperfunktionen an, auf die ich Zugriff hatte. Erst als Silke außer Sicht war, ließ ich es
laufen.
»Wie siehst du denn aus?«, fragte eine gutgelaunte Nina Blume, als ich neben ihr Platz nahm. Der Flieger war proppenvoll,
es roch nach Alkohol, wie in einer Kneipe, morgens, wenn die Putzfrau kommt. Aber unter meinem Sitz lag nichts. Also hatte
meine Kollegin noch einen kleinen Sieg im Ablagefachkrieg errungen.
»Lass mich bitte in Ruhe«, murmelte ich und unterdrückte das Verlangen, »Ich werde Vater« hinzuzusetzen.
»O-kay«, gab sie zurück.
Ich stöpselte mich in den iPod und suchte nach etwas, das meiner Stimmung entsprach. Es dauerte nicht lange, bis ich
Death Cab for Cutie
hörte, die Zufallswiedergabe landete ausgerechnet bei »Transatlanticism«. »I need you so much closer«, wiederholte Ben |185| Gibbard minutenlang, also zog ich die Ohrstöpsel wieder heraus. Der Flieger stand noch, die Stewardessen präsentierten ihre
Sicherheitsshow. In der Reihe vor uns improvisierten drei Kegler eine Nummer von Jürgen Drews: »Ich bin der König von Mallorca,
der Prinz von Arenal.« Eine grobschlächtige Flugbegleiterin kam den Gang entlang, in einer Körperhaltung, die mich an Gefängnisaufseherinnen
denken ließ, blieb neben den Keglern stehen und legte einem ihre mächtige Hand auf die Schulter: »Nur die Ruhe. In zwei Stunden
bist du am Ballermann, Schätzchen.« Die fröhliche Runde verstummte tatsächlich sofort, dann rollte die Maschine an.
Nina verkrampfte sich, aber es stand in keinem Verhältnis zu dem, was ich bisher miterlebt hatte. Sie saß am Fenster und sah
hinaus. Ich wartete die erste Cateringrunde ab, bestellte Whiskey, klinkte mich wieder bei Ben Gibbard ein und tat so, als
ob ich schlafen würde.
|186| 2.
»Hier bleiben wir nur eine Nacht«, sagte Nina, als wir in der Lobby der Unterkunft standen, für die die Bezeichnung »Hotel«
unangemessen schien. »Morgen geht es dann weiter nach Südwesten, in einen Club.«
»Und warum sind wir dann überhaupt hier?« Ich verstand tatsächlich nicht, warum und von wem dieser Zwischenstopp in der Asi-Hölle
geplant worden war. Eigentlich hätten wir gleich einen Familienclub im Südosten ansteuern sollen, aber Nina hatte mich im
Flugzeug mit der Info überrascht, dass wir eine Nacht in der Partyhölle von Palma verbringen würden.
»Weil Hei… äh.« Nina sah an mir vorbei und grinste wie jemand, den man beim Klauen erwischt hatte. »Um einen Eindruck zu bekommen.«
Ich nickte nur. »Hei…«, soso. Heimat, Heiligkeit, Heideröschen oder Heirat meinte sie damit sicher nicht. Wohl eher unseren
Chef – Heino, den Zahnlückenpfeifer. Irgendwas war hier im Busch.
Das Hotel lag in einer Seitenstraße, aber immer noch mitten in El Arenal, das eigentlich S’Arenal hieß, was aber vermutlich
keinen der zahlreich anwesenden deutschen Touris interessierte. Das Gebäude glich einem beliebigen Sechziger-Jahre-Reihenmietshaus
in einer beliebigen deutschen Mittelgroßstadt, verfügte über fünf Stockwerke, eben jene schäbige Lobby, die den Charme des
Finanzamts Köln-West versprühte, Balkone auf die belebte Straße hinaus, von denen, wie ich schon vor dem Einchecken mitbekam,
besoffene Neandertaler auf die Straße pissten, und einen fitzelkleinen Pool, der von wackligen Plastikliegen umzingelt war,
auf denen ausschließlich männliche Endzwanziger in Muskelshirts |187| laut schnarchend ihren Rausch ausschliefen. Die meisten Gäste, die mir begegneten, bevor ich endlich in mein Zimmer gehen
konnte, waren ebenfalls männlich, Anfang zwanzig bis Ende dreißig, sahen vollkommen bekloppt aus und sprachen, wenn das Verb
überhaupt zutreffend war, in einem präevolutionären Affensingsang miteinander, der allein durch das ständig wiederkehrende
Wort ›Prost‹ in einen rudimentär verständlichen Sinnzusammenhang gerückt wurde. Dabei tranken sie Bier aus Dosen. Pausenlos
klingelten Mobiltelefone. Von draußen drang infernalischer Lärm in das hässliche Gebäude, die Palette reichte von Geschrei
über Ghettoblasterbeschallung bis hin zu
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