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Pauschaltourist

Pauschaltourist

Titel: Pauschaltourist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Liehr
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Abendveranstaltung übriggeblieben war, stapelten sich Badetücher. »Mit diesem Unsinn muss wirklich
     mal Schluss sein«, sagte eine bowlingkugelförmige Enddreißigerin in einem sehr unglücklich ausgewählten Bikini zu mir, als
     ich gleich nach ihr das Reservierungsobjekt auf dem Tisch deponierte. »Ha ben Sie das gelesen, diesen Artikel?« Ich schüttelte den Kopf und schämte mich ein bisschen. Mir konnte das schließlich egal
     sein, da ich nach diesen sechs Wochen niemals wieder eine solche Reise antreten würde, aber ich hatte unfreiwillig eine Rebellion
     ausgelöst, die mir letztlich nichts bedeutete. Oder doch?
    |208| Während das zweite Album lief, kamen erst Nina und dann der Brillenmann, kurz nacheinander. Peters Beinaheeroberung ignorierte
     mich, legte sich aber auf die Nachbarliege, und das späte Adligenbaby nahm in zwei Metern Entfernung wieder seine Yogaposition
     ein, um in Richtung des Treibens im Kleinstenpool zu starren. Ich lenkte mich von den Gedanken über die Probleme und Geheimnisse
     meiner heute wieder redlich zerzausten Kollegin ab, indem ich darüber grübelte, was wohl in diesem Mann vorging. Vielleicht
     hatte er einen tragischen Verlust erlebt, in der Qualität von Sabines Ex, nur seinen Nachwuchs betreffend. Ich musterte ihn,
     was gefahrlos möglich war, da seine Konzentration extrem zielgerichtet zu sein schien.
    Punkt zwölf erhob ich mich, um mir Kaffee zu holen. Da ich verteufelt schwitzte, stieg ich in den Pool und schwamm zu einer
     Bar, was nicht ganz einfach war, denn hier fand etwas statt, das einer rituellen Badung im Ganges ähnelte. Man konnte kaum
     einen Schwimmzug machen, ohne gegen jemanden zu stoßen, wobei nicht wenige auch noch riesige Aufblastiere oder sogar kleine
     Schlauchboote mit ins begrenzte Wasser genommen hatten. Davon abgesehen gab es mehrere Müttergruppen – jeweils vier oder fünf
     Frauen, die mitten im Pool standen und miteinander schnatterten, als wäre das hier ein Hausflur irgendwo im Wedding. Ich erklomm
     schließlich einen Barhocker, dessen Sitzfläche gerade so aus dem Nass herausreichte, bestellte den größtmöglichen Kaffee und
     präsentierte dazu mein AI-Bändchen. Kaum dass das köstlich duftende Getränk vor mir stand, sprangen direkt neben der Bar fünf
     Halbwüchsige ins Becken, wodurch eine solide Arenal-Bierdosenfüllung Chlorkinderpisse in meiner Tasse landete. Der Barkeeper,
     ein Araber, zuckte lächelnd mit den Schultern, murmelte etwas von »Familienclub« und stellte mir einen neuen Kaffee hin. Ich
     schirmte ihn mit beiden Händen ab und trank, indem ich mich über die Tasse beugte. Lecker.
    Als ich zurückkehrte, war Nina gerade bei ihrem ersten Bier. |209| Sie musterte mich kurz, während ich mich abtrocknete, setzte sich dann auf.
    »Okay, jetzt weißt du es also«, sagte sie mürrisch.
    Ich nickte lächelnd, aber wir wurden unterbrochen, bevor das Gespräch begann. Zwei Meter links von uns hatte sich eine kleine
     Gruppe Frauen versammelt, die dem Mann mit der hellblauen Brille die Sicht versperrte.
    »Sie widerwärtiger Spanner!«, brüllte eine von ihnen, eine eins neunzig große, sehr dürre Schwarzhaarige mit Hängebrüsten.
     »Sit zen hier und starren auf unsere nackten Kinder! Seit drei Tagen geht das schon so. Sie Schwein!« Die anderen Damen nickten eifrig.
     »Man sollte die Polizei rufen«, schlug eine weitere vor, eine Endzwanziger-Ruhrgebiets-Uschi mit tätowierten Brauen.
    Der Mann war auf seiner Liege ganz nach hinten gerutscht und hatte eine defensive Haltung angenommen. Maßlose Überraschung
     stand ihm im Gesicht geschrieben. Er hob die Hände und wollte offenbar etwas sagen, aber in diesem Augenblick schlug eine
     der Frauen mit ihrem Handtuch nach ihm. Seine Brille flog davon. Die anderen Furien nahmen das als Aufforderung, zwei gingen
     sogar zum Reservierungstücherstapel, um sich auszurüsten. Um uns herum hatten sich sämtliche Urlauber aufgesetzt, um besser
     verfolgen zu können, was da geschah. Aber niemand machte Anstalten einzugreifen. Ich wusste es eigentlich besser, spätestens
     seit meinem Versuch, den Elektronikkäufern auf Gran Canaria zur Seite zu stehen, aber mein Gerechtigkeitsempfinden behielt
     die Oberhand, Widerstand zwecklos. Nina sagte noch was, aber da stand ich schon zwischen der schlagbereiten Herde Muttertiere
     und dem völlig verdatterten Riesenbaby. Ich hob die Arme, gerade noch rechtzeitig, um zu verhindern, dass meine Sonnenbrille
     das gleiche Schicksal

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