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Pauschaltourist

Pauschaltourist

Titel: Pauschaltourist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Liehr
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ereilte wie die des Mannes auf der Liege.
    »Was zur Hölle tut ihr hier?«, brüllte ich und nahm die Brille vorsichtshalber doch ab. »Habt ihr sie noch alle?«
    |210| Die schwarzhaarige Hängebrust griff nach mir, überlegte es sich dann anders. »Das ist ein Kinderschänder«, erklärte sie lautstark
     und wies anklagend auf meinen Schützling. Die anderen Frauen nickten eifrig. Der Polizeiholvorschlag wurde wiederholt.
    Ich wies zur Seite und beugte mich bei der Gelegenheit hinunter, um dem Mann seine affige Brille zurückzugeben, der das in
     seinem verschreckten Zustand kaum wahrnahm. »Hier sitzen jede Menge Leute und schauen zum Kinderbecken.«
    »Aber die
haben
alle Kinder!«, kam von der Rädelsführerin.
    »Ich habe keine«, antwortete ich.
Doch, bald,
flog es mir kurz durch den Sinn.
    »Sie stieren aber auch nicht die ganze Zeit auf … äh. Auf. Sie wissen schon.«
    »Nee, weiß ich nicht«, behauptete ich und machte einen Schritt auf das Rollkommando zu. Alle wichen zurück, bis auf die Schwarze.
     Der Mann hinter mir sagte etwas. Erst leise, dann wiederholte er es lauter: »Ich mache nichts, ich gucke doch nur«, erklärte
     er. Sein Oberkörper bebte.
    »Da hören Sie’s!«, krähte die Chefin und hob drohend den Handtucharm. Inzwischen hatten sich weitere Touristen um uns versammelt,
     in der Hauptsache Frauen, die jetzt in Formation nickten.
    »Gar nichts höre ich. Der Mann sitzt da und beobachtet Kinder.«
    »Und in seinem Zimmer macht er dann …« Die Frau errötete vor Zorn.
» Sachen
. So was liest man doch jeden Tag.«
    »Du liest die falschen Zeitungen, Gabi. Bist du mal auf die Idee gekommen, ihn einfach zu fragen, warum er da sitzt und den
     Kiddies zusieht? Wenn du schon glaubst, dass es dich überhaupt was angeht?« Ich hoffte inständig, dass der Mann mir nicht
     dadurch in den Rücken fiele, nunmehr auszuführen, dass er sich tatsächlich im Anschluss einen abhobelte. Ich musste mir eingestehen,
     dass auch ich diese Möglichkeit für nicht ganz unplausibel hielt. Aber |211| er stand plötzlich neben mir. Zu meiner Überraschung war er fast genauso groß wie ich.
    »Es tut mir leid«, sagte er leise, räusperte sich dann. »Ich wollte nicht Ihr Missfallen erregen.«
    »Erregen«, wiederholte eine gedrungene Kampfmutter, als hätte er gerade irgendwas bestätigt.
    »Ich sollte nicht allein hier sein«, fuhr der Attackierte fort. »Sondern mit meiner Frau und den Zwillingen, die sind jetzt
     drei Jahre alt.« Er sah zu Boden, seine Erschütterung umgab ihn auratisch. Als er das Gesicht wieder hob, standen ihm die
     Tränen in den Augenwinkeln. »Sie hat mich vor zwei Wochen verlassen, ganz plötzlich. Ist einfach verschwunden, mit den Kindern,
     und alles, was ich weiß, steht hier.« Er zog einen Zettel aus der Tasche seiner Boxershorts, auf dem nur ein oder zwei Zeilen
     standen, die vermutlich niemand hier lesen wollte. »Die Kinder sind mein Ein und Alles.« Der Mann schluckte schwer, wieder
     liefen Tränen. »Es tut mir so leid«, murmelte er. »Aber es hat mir gutgetan, hier sitzen und dabei an sie denken zu können.
     Ich vermisse sie so sehr. So sehr.« Er zog hörbar den Rotz hoch, der ihm aus der Nase lief, und es war fast greifbar, wie
     unangenehm er sich dabei fühlte.
    »Mein Gott«, sagte die Schwarzhaarige und schlug sich die Hand vor den Mund. Die anderen Frauen sahen betreten zu Boden, einige
     verließen bereits davonschleichend die Szene. »Das konnte ich doch nicht wissen.« Erst jetzt ging ihre bis zu diesem Zeitpunkt
     immer noch schlagbereite Hand nach unten. »Mein Gott«, wiederholte sie.
    »Eigentlich sollte man euretwegen die Polizei holen«, sagte ich. »Bitte nicht«, bat der verlassene Vater. »Mir ist das sehr
     peinlich.«
    »Ihnen sollte das nicht peinlich sein, sondern denen da.«
    »Entschuldigung«, murmelte die Anführerin. »Ich konnte das nicht wissen«, wiederholte sie.
    »Das andere konntest du auch nicht wissen, aber da warst du dir sicher«, setzte ich nach.
    |212| »Entschuldigung«, sagte sie nochmals, dann löste sich der Kampfverband in Windeseile auf.
    »Danke«, sagte der Brillenmann und reichte mir die Hand. »Ich heiße Oliver. Oliver von Papening.«
    Ich stellte mich ebenfalls vor.
    »Ich würde Sie und Ihre Frau gern zum Essen einladen, als kleines Dankeschön. Wär das möglich?« Seine Stimme war jetzt wieder
     erstaunlich fest, und trotz der blöden Brille hatte der Mann etwas sehr Distinguiertes. Ich nickte. Wir verabredeten

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