Pauschaltourist
Schnute und zündete sich eine neue Zigarette an. »Immerhin hatte ich Arbeit in Aussicht, als |253| Reiseleiterin.« Ich unterdrückte eine erstaunte Äußerung, denn inzwischen hielt ich die Existenz dieses Berufsstandes für
eine Legende. »Aber das hat sich zerschlagen«, fuhr sie fort. »Jetzt bewerbe ich mich hier auf einen Posten in einem Aquapark.«
Die Werbeschilder für diese Einrichtungen gab es ebenso oft wie Baustellen, hatte ich bei der Herfahrt bemerkt. »Mal sehen,
ob das klappt. Mallorca wäre mir lieber gewesen, aber alles ist besser als Bielefeld.«
»Die Sache mit den Insekten müssen Sie aber noch in den Griff kriegen«, scherzte ich.
Sie erschauderte, drehte sich kurz zur Mauer um und nickte dabei. Auf den zweiten Blick war die Frau nicht unsympathisch,
sie sprach Englisch, Spanisch und Portugiesisch fließend, hatte ein VWL-Studium und eine Ausbildung als Zahnarzthelferin hinter
sich. Der Job im Aquapark wäre eine Mischung aus Gästebetreuung und Unterstützung beim Marketing. Letztlich wäre sie vermutlich
ein niederer Go-For des Managements, gestand sie unumwunden. Aber, hey –
alles
war eben besser als Bielefeld. Und hier schien wenigstens die Sonne.
|254| 3.
Vilamoura hieß die gesamte künstliche Urlaubsregion, in der wir uns befanden, und während des dringend nötigen Verdauungsspaziergangs
(zum Hotel-Abendessen kein Wort mehr) offenbarte sich der fade Charme des trostlosen, aber gewaltig großen Ensembles, das
vielleicht einmal – vor diesem Jahrtausend – als modern gegolten hatte. Der Name bedeutete, wie mein Internet-Telefon verriet,
»maurische Stadt«, wogegen sich die armen Mauren ja nicht mehr wehren konnten. Wir verliefen uns mehrfach, bis uns ein Touristenpaar
aus Holland riet, doch mal das Casino aufzusuchen. Die Idee war so gut oder schlecht wie jede andere, und Nina fand sie reizvoll,
zumal sich die Kasköppe als Führer anboten, weil sie das gleiche Ziel hätten. Der rothaarige und gesichtsverbrühte junge Mann
versuchte, mich in ein Gespräch über Fußball zu verwickeln. Er nahm sicher an, dass sich deutsche Männer auf jeden Fall für
dieses Thema interessierten. Ich ließ auch meinerseits die Vorurteile aufblitzen und stellte Gegenfragen über Wohnwagen, die
er beherzt und fachmännisch in seinem lustigen Deutsch-Holländisch-Mix beantwortete. Sein Name klang wie das Geräusch, das
ein Hausschwein beim Erbrechen von Hotelessen macht, aber als ich ihn bat, den Vornamen zu buchstabieren, nannte er nur drei
Buchstaben: Ger.
Seine außerordentlich hübsche, blonde und nur wenig mehr als einen Meter fünfzig große Frau war im sechsten Monat schwanger
und hieß tatsächlich Nicky. Dies wäre ihr letzter Urlaub vor dem Kind, sagte sie strahlend und deshalb hätten sie sich etwas
ganz Besonderes gegönnt (ich verkniff mir die Frage, warum zur Hölle sie dann
hier
waren). Davon abgesehen gäbe es nichts Schöneres als ein Kind, oder? Auch den sich hier aufdrängenden Kommentar unterdrückte
ich und brummte stattdessen.
|255| »Was soll es denn Schöneres geben?«, fragte Ger, dem der ablehnende Unterton meines Brummens nicht entgangen war.
Ich zuckte die Schultern. »Keine Ahnung. Urlaub?«, schlug ich vor.
Ger rief: »Das ist ein Scherz, oder?«
Scherch
. Klang wirklich amüsant. Ich nickte, um uns diese Diskussion zu ersparen, und erzählte, dass ich auch Nicky heißen würde,
mehr oder weniger. Meine Beinahe-Namensvetterin freute sich. Der kommende Balg war der zierlichen Person fast nicht anzusehen.
Ich konzentrierte mich wieder auf den Wohnwagenexperten, um nicht an Silke und ihren Bauch denken zu müssen.
Glücksspiele entzogen sich meinem Verständnis, vor allem die Tatsache, dass man kein Glück
hatte
, sondern es
brauchte
, was die meisten Spieler umgekehrt zu sehen schienen. Vor den Reihen einarmiger
Verbrecher
saßen Urlauberhorden und schmissen kiloweise ihr Geld weg, und nicht wenige trugen Strandkleidung, obwohl die Sonne längst
untergegangen war. Ger besorgte einen Apfelsaft und drei Gin-Tonics (weil es keinen Genever gab), »auf das Baby und die Deutsch-holländische
Freundschaft«, Nina hielt zielstrebig auf einen Roulettetisch zu.
Sogar Steini, den ich ansonsten für einen intelligenten Menschen hielt, spielte Lotto. Unfassbar eigentlich. Da quarzten Leute
schachtelweise und hofften darauf, nicht zu dem einen Promille unter den Rauchern zu gehören, das alsbald an Lungenkrebs sterben
würde,
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