Pauschaltourist
trug
erstmals auf dieser Tour einen Bikini, weiß mit dezentrotem Blumenmuster. Liegend geraten fast alle Frauenkörper aus den Fugen,
Schenkeldurchmesser verdoppeln sich, und selbst ordentliche Brüste nehmen Pfannkuchenform an, und leider zeichneten sich deutlich
die Übergänge zwischen der Bankbräune und der einteilerbegrenzten Sonnenwirkung der letzen Wochen ab, aber es stand ihr trotzdem.
Gleich daneben lag eine Frau meiner Altersklasse in dunkelblauem Zweiteiler, der zwei Nummern zu eng war und ihre überreichlichen
Fettdepots hervorpresste. In der einen Hand hielt sie einen Dan-Brown-Roman und in der anderen eine heruntergebrannte Kippe.
Der Eindruck, den diese Dame machte, schien ihr schnuppe zu sein. War ja auch Urlaub.
Nina las meinen Beitrag. Sie nickte mir kurz zu, griff neben die Liege und hielt mir eine Flasche »Sagres« hin. »Das musst
du mal probieren«, sagte sie augenzwinkernd.
Portugal ist für seinen Wein und den Port bekannt, aber auf die Herstellung von Bier sollten sie verzichten, fand ich nach
dem ersten Schluck. Selbst das marokkanische »Flag Speciale« hatte hiergegen wie ein Premiumpils aus Dortmund geschmeckt.
Außerdem hatte der Portugiesentrunk Außentemperatur, also knapp fünfundzwanzig Grad. Ich leerte ihn trotzdem.
»Mutterschutz«
, sagte Nina und legte den Papierstapel beiseite. |249| »Schöner Text. Etwas weniger originell und bissig als dein erster, aber angemessen. Eine gute Idee, die selbstgerechte Frauenarmee
als Aufhänger zu nehmen.«
Ich nickte dankbar. Während der beiden Pausentage hatte ich mir das Hirn zermartert, um einen Beitrag zu zimmern. Bei viel
After Eight und Hautpudding war ich dann auf diesen Einstieg gekommen. Beim Schreiben hatte ich zwei Dinge festgestellt. Erstens
machte mir diese Sache langsam Spaß, und ich fühlte mich
zu Hause
inzwischen deutlich weniger wohl als unterwegs – trotz des Irrsinns, der uns pausenlos begegnete. Und außerdem fand ich den
Gedanken, in die Redaktion und in irgendein Alltagsleben zurückzukehren, mittlerweile nahezu unerträglich. Ich war mir eigentlich
sicher, dass ich nicht mehr für den promisken Zahnlücken-Sklaventreiber weiterschuften wollte, Journalistenkarriere hin oder
her. Zugleich verspürte ich so etwas wie Verständnis für die menschenähnlichen Primaten, die sich vorbereitungslos Hals über
Kopf ins Ausland – was meistens »in ein Urlaubsgebiet« hieß – verabschiedeten und dabei von Kamerateams der Unterschichtsender
filmen ließen, wie sie von einer Katastrophe in die nächste schlitterten. Im Laufe der vergangenen zwei Tage hatte ich sage
und schreibe fünf solcher »Doku-Soaps« sehen können.
»Du hast dich vom Schrecken erholt?«, fragte ich. »Meinst du, je wieder in ein Flugzeug steigen zu können?«
»Das hatte ich fast schon verdrängt, danke für die Erinnerung«, gab sie mit leicht genervtem Blick zurück und stellte die
leere Bierflasche ab.
Irgendwo über den Pyrenäen hatte es eine Art Zwischenfall gegeben. Vorsichtig ausgedrückt. Plötzlich hatte sich ein Plöng-Plöng-Plöng-Geräusch
gemeldet, und gleichzeitig waren die Sauerstoffmasken herabgefallen – ohne jede Ankündigung und auch ohne äußere Zeichen eines
Problems, denn das Flugzeug rauschte eigentlich extrem ruhig über das südwestliche Europa hinweg, dabei pro Passagier so viel
Treibstoff verbratend, wie man mit |250| dem Auto für die gleiche Strecke auch benötigt hätte. Das Alarmsignal wurde augenblicklich vom Geschrei der in Panik ausbrechenden
Fluggäste verdrängt, aber Ninas infernalisches Brüllen stellte alles andere in den Schatten. Sie saß fünfzehn Reihen vor mir,
aber ihr wiederholtes, sich überschlagendes »Ich will nicht sterben!« drang klar und deutlich bis zu mir. Nicht wenige Passagiere
sprangen auf. Die Frau rechts von mir, ein mächtiges, kinnloses, bärtiges Weib in den Fünfzigern, zog in aller Seelenruhe
die Maske vor den Mund und justierte das Gummibändchen im rotgrauen, haarspraystarren Gestrüpp auf ihrer Schädelrückseite.
Ich tat es ihr gleich und war überrascht, wie wenig Angst ich empfand. Ich war besorgt, ja, und dachte an die armen Alten
im Vorderteil des Fliegers, die vermutlich vor einem Gruppenherzinfarkt standen. Aber noch glitt die Maschine durch den zahnpastablauen
Himmel, als wäre nichts geschehen.
»Bitte bewahren Sie Ruhe. Es ist nichts passiert. Wir haben es mit einem technischen Defekt zu tun, der die
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