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Pauschaltourist

Pauschaltourist

Titel: Pauschaltourist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Liehr
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trug
     erstmals auf dieser Tour einen Bikini, weiß mit dezentrotem Blumenmuster. Liegend geraten fast alle Frauenkörper aus den Fugen,
     Schenkeldurchmesser verdoppeln sich, und selbst ordentliche Brüste nehmen Pfannkuchenform an, und leider zeichneten sich deutlich
     die Übergänge zwischen der Bankbräune und der einteilerbegrenzten Sonnenwirkung der letzen Wochen ab, aber es stand ihr trotzdem.
     Gleich daneben lag eine Frau meiner Altersklasse in dunkelblauem Zweiteiler, der zwei Nummern zu eng war und ihre überreichlichen
     Fettdepots hervorpresste. In der einen Hand hielt sie einen Dan-Brown-Roman und in der anderen eine heruntergebrannte Kippe.
     Der Eindruck, den diese Dame machte, schien ihr schnuppe zu sein. War ja auch Urlaub.
    Nina las meinen Beitrag. Sie nickte mir kurz zu, griff neben die Liege und hielt mir eine Flasche »Sagres« hin. »Das musst
     du mal probieren«, sagte sie augenzwinkernd.
    Portugal ist für seinen Wein und den Port bekannt, aber auf die Herstellung von Bier sollten sie verzichten, fand ich nach
     dem ersten Schluck. Selbst das marokkanische »Flag Speciale« hatte hiergegen wie ein Premiumpils aus Dortmund geschmeckt.
     Außerdem hatte der Portugiesentrunk Außentemperatur, also knapp fünfundzwanzig Grad. Ich leerte ihn trotzdem.
    »Mutterschutz«
, sagte Nina und legte den Papierstapel beiseite. |249| »Schöner Text. Etwas weniger originell und bissig als dein erster, aber angemessen. Eine gute Idee, die selbstgerechte Frauenarmee
     als Aufhänger zu nehmen.«
    Ich nickte dankbar. Während der beiden Pausentage hatte ich mir das Hirn zermartert, um einen Beitrag zu zimmern. Bei viel
     After Eight und Hautpudding war ich dann auf diesen Einstieg gekommen. Beim Schreiben hatte ich zwei Dinge festgestellt. Erstens
     machte mir diese Sache langsam Spaß, und ich fühlte mich
zu Hause
inzwischen deutlich weniger wohl als unterwegs – trotz des Irrsinns, der uns pausenlos begegnete. Und außerdem fand ich den
     Gedanken, in die Redaktion und in irgendein Alltagsleben zurückzukehren, mittlerweile nahezu unerträglich. Ich war mir eigentlich
     sicher, dass ich nicht mehr für den promisken Zahnlücken-Sklaventreiber weiterschuften wollte, Journalistenkarriere hin oder
     her. Zugleich verspürte ich so etwas wie Verständnis für die menschenähnlichen Primaten, die sich vorbereitungslos Hals über
     Kopf ins Ausland – was meistens »in ein Urlaubsgebiet« hieß – verabschiedeten und dabei von Kamerateams der Unterschichtsender
     filmen ließen, wie sie von einer Katastrophe in die nächste schlitterten. Im Laufe der vergangenen zwei Tage hatte ich sage
     und schreibe fünf solcher »Doku-Soaps« sehen können.
    »Du hast dich vom Schrecken erholt?«, fragte ich. »Meinst du, je wieder in ein Flugzeug steigen zu können?«
    »Das hatte ich fast schon verdrängt, danke für die Erinnerung«, gab sie mit leicht genervtem Blick zurück und stellte die
     leere Bierflasche ab.
    Irgendwo über den Pyrenäen hatte es eine Art Zwischenfall gegeben. Vorsichtig ausgedrückt. Plötzlich hatte sich ein Plöng-Plöng-Plöng-Geräusch
     gemeldet, und gleichzeitig waren die Sauerstoffmasken herabgefallen – ohne jede Ankündigung und auch ohne äußere Zeichen eines
     Problems, denn das Flugzeug rauschte eigentlich extrem ruhig über das südwestliche Europa hinweg, dabei pro Passagier so viel
     Treibstoff verbratend, wie man mit |250| dem Auto für die gleiche Strecke auch benötigt hätte. Das Alarmsignal wurde augenblicklich vom Geschrei der in Panik ausbrechenden
     Fluggäste verdrängt, aber Ninas infernalisches Brüllen stellte alles andere in den Schatten. Sie saß fünfzehn Reihen vor mir,
     aber ihr wiederholtes, sich überschlagendes »Ich will nicht sterben!« drang klar und deutlich bis zu mir. Nicht wenige Passagiere
     sprangen auf. Die Frau rechts von mir, ein mächtiges, kinnloses, bärtiges Weib in den Fünfzigern, zog in aller Seelenruhe
     die Maske vor den Mund und justierte das Gummibändchen im rotgrauen, haarspraystarren Gestrüpp auf ihrer Schädelrückseite.
     Ich tat es ihr gleich und war überrascht, wie wenig Angst ich empfand. Ich war besorgt, ja, und dachte an die armen Alten
     im Vorderteil des Fliegers, die vermutlich vor einem Gruppenherzinfarkt standen. Aber noch glitt die Maschine durch den zahnpastablauen
     Himmel, als wäre nichts geschehen.
    »Bitte bewahren Sie Ruhe. Es ist nichts passiert. Wir haben es mit einem technischen Defekt zu tun, der die

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