Peacemaker
Gideon näher kam, stellte er jedoch fest, dass sie aus gräulichem Kalkstein bestand. Pflanzen schienen es auf dem kurvenreichen Pfad schwerzuhaben. Es gab nur vereinzelte knorrige Bäume, und hin und wieder sprossen Grasbüschel aus dem Fels. Zunächst war die Felswand keine Wand, sondern nur ein steiler Hügel, in den die Erosion tiefe Wasserrinnen und Schluchten gegraben hatte.
Doch je höher er kletterte, desto steiler wurde der Pfad. Der Kalkstein war lose und bröcklig, und der Pfad wurde immer schmaler, je steiler das Gelände anstieg. Irgendwann war der Pfad nur noch dreißig Zentimeter breit und fiel stellenweise auf beiden Seiten Dutzende Meter ab.
Auf halbem Weg nach oben machte Gideon eine Pause, um seine brennenden Oberschenkel auszuruhen. Er lief jede Woche fünfzig Kilometer, aber in der Ebene zu laufen, war nicht das Gleiche, wie Steigungen zu erklimmen. Er lehnte sich mit dem Rücken gegen den kühlen Fels und betrachtete die Landschaft, die sich unter ihm kilometerweit erstreckte. In der Ferne konnte er gerade noch eine weitere kleine Ortschaft in einer Biegung eines Flusses ausmachen. Als Monkey und er an dieser Ortschaft vorbeigerast waren, hatte sie einen völlig normalen Eindruck gemacht. Jetzt stand sie in Flammen, und eine dicke Rauchsäule stieg in den Himmel auf.
Außerdem sah er, dass in der Ferne eine winzige V-förmige Welle den Fluss kräuselte. Ein Boot näherte sich. Gideon spürte Angst in sich aufsteigen. Zufall? Oder folgte ihm jemand?
Er stand wieder auf und setzte seinen Weg fort.
Mittlerweile ging es langsamer voran. Je höher Gideon kam, desto mehr wurde der Fußmarsch zur Klettertour. Über sich sah er den Streifen Dschungel, allerdings hatte er noch immer etwa hundertfünfzig Höhenmeter zu bewältigen. Er hatte die Höhe der Felswand drastisch unterschätzt. Und der steilste Teil des Aufstiegs lag noch vor ihm.
Bald stellte er fest, dass er ununterbrochen beide Hände an der Felswand lassen musste. Unter ihm löste sich Gestein. Das einzig Positive war, dass die Hitze nachgelassen hatte. Es war noch immer warm, doch es herrschte nicht mehr dieselbe drückende tropische Schwüle wie zuvor.
Hin und wieder bröckelte unter Gideons Händen oder Füßen Gestein ab, und die losen Felsbrocken rollten und sprangen den Hang hinunter. Jedes Mal, wenn das passierte, verlor er kurzzeitig das Gleichgewicht und musste nach Halt suchen, um nicht den losen Brocken die mit Geröll übersäte Felswand hinunter zu folgen.
Gideon versuchte, die hartnäckigen Zweifel und Ängste zu vertreiben, die ihm im Kopf herumspukten: dass seine Mission töricht und sinnlos war und dass er hätte kehrtmachen und zurückgehen sollen. Wenn er Tillman finden wollte, musste er sich jedoch den Gefahren stellen, die ihn an dem Ort erwarteten, den Monkey so sehr fürchtete.
Er legte abermals eine Pause ein, um seine zitternden Oberschenkel zu massieren. Die Sonne senkte sich zum Horizont, und er hatte noch immer ein gutes Stück Weg vor sich. Er blickte nach unten. Das Boot, das er zuvor gesehen hatte, legte am Pier an. Ein Mann sprang vom Boot und machte es fest, dann folgten ihm einige weitere Männer an Land. Sie durchkämmten die verlassene Ortschaft. Obwohl Gideon aus der Ferne ihren Gesichtsausdruck nicht erkennen konnte, sah er, dass sie sich zielstrebig bewegten, dass sie nach irgendetwas oder irgendjemandem suchten. Er fragte sich, ob ihm die überlebenden Dschihadisten den ganzen Weg flussaufwärts gefolgt waren. Aber warum hätten sie sich all die Mühe wegen eines verdreckten, triefnassen Fremden machen sollen? Das Ganze kam ihm merkwürdig vor. Allerdings ließ sich nicht von der Hand weisen, dass er für den Tod von einigen von ihnen verantwortlich war. Vielleicht wollten sie nur ein Exempel an ihm statuieren. Vielleicht suchten sie aber auch nach jemand ganz anderem.
Während er über diese Fragen nachdachte und sich die Beine massierte, deutete einer der Männer nach oben auf die Felswand. Gideon vernahm einen entfernten, kaum hörbaren Schrei. Dann rannten die Männer den Pfad entlang, der auf die Felswand hinaufführte. Tja, dachte er, jetzt ist alles klar. Es bestand kein Zweifel mehr daran, dass sie ihm folgten. Als sie näher kamen, sah er, dass sie bewaffnet waren.
Gideon drückte ein letztes Mal fest in seine schmerzende Wade, dann setzte er seinen Weg nach oben fort. Darüber zu spekulieren, weshalb sie ihn verfolgten, würde ihm nicht dabei helfen, ihnen zu entkommen.
Gideons
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