Pech und Schwefel (German Edition)
Wasser.
Augenblicklich vermischte sich der kostbare Mondstaub mit dem Wasser und bildete dadurch eine glatte Oberfläche, genau wie bei einem Spiegel. Als dies vollbracht war, schloss er das Holzkästchen vorsichtig. Danach griff er erneut in seinen Sack und zog einen kleinen Lederbeutel heraus. Darin befanden sich blauschwarze, getrocknete und steinharte Beeren eines Faulbaums. Eine davon zerbröckelte er in mehrere kleine Stückchen, die er dann mit viel Druck zwischen seinen Handflächen verrieb, bis sie sie sich in Pulver verwandelt hatten. Zu Hause in seinem Labor hatte er Mörser und Stößel gehabt, aber hier musste er improvisieren. Das Pulver ließ er dann ebenfalls in die Schüssel fallen.
Zufrieden musterte er sein Werk. Die glatte Oberfläche begann, durch die Zugabe des Faulbeerpulvers, sich langsam im Kreis zu drehen. Zwei wichtige Zutaten fehlten noch, damit sein sehender Spiegel fertig war. Die Vorletzte bewahrte er sorgfältig in einer kleinen Silberphiole auf, die er erst gestern hatte auffüllen lassen. Er benutzte sie selten und doch benötigte er sie gerade jetzt.
Für einen kurzen Moment hielt er inne und fragte sich, ob die Begegnung mit Nomarac wirklich nur Zufall gewesen war? Oder hatte der Feuergott möglicherweise doch seine Hände mit im Spiel? Normalerweise lief er nicht mit diesen seltenen Zauberzutaten durch Mayonta. Aber ausgerechnet gestern hatte er sie gekauft. Es war wie eine Fügung des Schicksals. Aber weil Zevenaar in seinem Kopf schwieg, führte er seine Arbeit fort.
Als letzte Zutat fügte er aus einem kleinen Ledersäckchen Alabasterpulver hinzu. Noch geschah nichts, denn das Wichtigste fehlte. Venarez wandte seinen Blick dem schlafenden Nomarac zu, lief leise hinüber zum Bett und hielt wie aus dem Nichts eine feine Nähnadel in der Hand. Er beugte sich über den Jungen und pikste ihm in den linken Zeigefinger. Nomarac wachte dabei nicht auf, dafür hatte er mit seinem magischen Schlafzauber gesorgt. Ein kleiner Blutstropfen trat aus der Stichwunde. Diesen fing er mit einer magischen Silbe auf und ließ ihn durch die Luft schweben. Mit einem Wink blieb er über der Wasserschüssel schweben, wo er dann mit einem Blubb ins Wasser fiel.
Mit einem Schnippen verschwand die Nadel wieder im Nichts. Anschließend sah er in den von ihm erschaffenen sehenden Spiegel. Inzwischen wirbelte darin ein kleiner, wütender Strudel und das Wasser begann matt zu leuchten.
»Ja, so ist es richtig«, murmelte Venarez und sprach die auslösenden Worte, um im Spiegel das zu sehen, was er begehrte: Ronor.
Durch das Blut seines Zwillingsbruders musste er sich nicht sonderlich auf die Person konzentrieren, die er suchte, wie es eigentlich der Fall gewesen wäre. Das Blut übernahm die Aufgabe für ihn. Es war ohnehin ein Zauber, den er eben erst abgewandelt hatte. Venarez hoffte, dass es funktionieren würde.
Innerhalb weniger Sekunden beruhigte sich das Wasser wieder und es sah aus wie zu Anfang, als wäre sie eine glänzende Spiegeloberfläche. Weitere Sekunden verstrichen und dann konnte er Nomaracs Abbild erkennen, er lächelte und umarmte einen jungen Raukarii, der ihm bis auf die langen Haare und den etwas schmaleren Körperbau glich. Sofort wechselte das Bild und Nomaracs Gestalt verschmolz in das Antlitz seines Zwillingsbruders. Einen Moment später sah Venarez in zwei gleiche Gesichter. In schneller Bilderfolge sah er die nächsten Ereignisse. Es forderte von ihm höchste Konzentration die Bilder in sich aufzunehmen, sie zu verarbeiten und zu deuten. Nach einer Viertelstunde war alles vorbei und völlig erschöpft setzte er sich auf den Stuhl am Fenster, schloss die Augen nickte ein.
Ein warmer Sonnenstrahl kitzelte Nomaracs Nase. Verschlafen fuhr er sich mit den Händen übers Gesicht. So gut hatte er schon lange nicht mehr geschlafen. Er fühlte sich richtig erholt und bereit für neue Taten. Gähnend und die Arme von sich streckend, setzte er sich im Bett auf und sah Venarez schlafend auf dem Stuhl sitzen.
Plötzlich kehrten alle Erinnerungen an seinen Bruder zurück. Die Traurigkeit nahm von ihm Besitz und er spürte abermals die Tränen in den Augen brennen. Außerdem schalt er sich. Er hatte hier geschlafen, während sein Bruder sonst wo war und womöglich Schmerzen litt.
»Du bist wach?«, fragte ihn unerwartet Venarez, der leise stöhne und seine steifen Glieder von sich streckte. »Erinnere mich bitte beim nächsten Mal daran, dass ich nicht auf einem Stuhl einschlafe.
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